Kein Mensch braucht Sex

Kein Mensch braucht Sex

Mensch braucht SEX

Wozu ist der Sex gut? Um uns vor Bakterien zu schützen, sagen die Evolutionsbiologen. Und die Liebe? Die ist noch einmal ein Kapitel für sich.

Das Wichtigste in Kürze

  • Liebe steht im Dienst der sexuellen Fortpflanzung, sowohl beim Verlieben als auch bei der Bindung von Eltern und Kindern.
  • Die sexuelle Fortpflanzung ist ein Erfolgsmodell der Evolution seit einer Milliarde Jahren.
  • Warum, war lange unklar, weil asexuelle Organismen sich schneller vermehren als sexuelle.
  • Nach aktuellen Erkenntnissen steckt die Erklärung für das Rätsel im Immunsystem höherer Tiere: Damit es funktioniert, müssen die Gene immer neu gemischt werden, und das passiert beim Sex.
  • Bei der Partnerwahl werden die passenden Gene mit der Nase erkannt.
  • Die sexuelle Paarbindung kann Liebesbeziehungen begründen, die sich emotional extrem entwickeln: bis zur Selbstaufgabe oder bis zur tödlichen Eifersucht

Der Geruch der Gene

Eine neue Untersuchung an Mäusen, genauer gesagt: an deren Urin, stellt die Lehrmeinung, dass Tiere und Menschen bei der Partnerwahl speziell die Immungene des Gegenübers scannen, plötzlich in Frage. Der Urin von Mäusen enthält nämlich viel mehr Peptide, die von anderen Genen stammen. Die Autoren der neuen Studie, zu denen auch der Tübinger Immunologe Hans-Georg Rammensee gehört, halten es für wahrscheinlicher, dass die Mäuse einen Gesamteindruck davon bekommen, in welchem Maße der potenzielle Partner ihnen genetisch ähnelt. Eine optimale Genmischung würde bei den Nachkommen nur entstehen, wenn das Paar nicht zu nah verwandt ist. Es darf sich aber auch nicht um eine völlig fremde Art handeln.

„Liebe“ heißt der Film. Er gewann 2012 die Goldene Palme von Cannes und 2013 einen Oscar. „Liebe“ von Michael Haneke erzählt nicht die übliche Geschichte vom Jungen, der sein Mädchen trifft, wie sie nicht erst seit „Romeo und Julia“ immer wieder erzählt wird. „Liebe“ erzählt von den letzten Monaten im Leben eines alten Ehepaars. Georges, der alte Mann, kämpft um die Würde von Anne, seiner Frau, die körperlich und geistig immer mehr verfällt. Er kämpft, bis er selbst nicht mehr kann und dem gemeinsamen Elend durch eine brutale Tat ein Ende setzt.

Das ist eine ganz andere Liebe als die, von der der Schlager und die TV- Werbung erzählen: „Everybody wants to love …“, und schon steht die junge Schöne vor der Tür, öffnet für den Freund den Mantel und trägt darunter nur einen Hauch von nichts. Das ist Sex pur, das ist die heiße Phase der Liebe. Eine Phase, die auch Anne und Georges durchgemacht haben, wie die gemeinsame Tochter sich im Film erinnert: Als Kind habe sie immer mitgehört, wie die Eltern miteinander schliefen, erzählt sie bei einem ihrer letzten Besuche zu Hause. Das habe sie beruhigt, weil es ihr signalisiert habe: Die Eltern lieben sich noch. Sie werden nicht auseinandergehen.

Es gibt also einen Zusammenhang zwischen Sex und Liebe. Aber worin besteht er genau? „Oxytocin“ würde ein Biochemiker zur Antwort geben. Das Hormon, das auch als Neurotransmitter wirkt, ist im Spiel, wenn zwei Menschen sich verlieben, aber auch, wenn zwischen Mutter und Kind eine erste, enge Bindung entsteht. Aber gäbe es Liebe zwischen Erwachsenen auch ohne Sex? Und ohne das komplizierte Paarungsspiel und die heftige Begierde, die ihm vorangeht?

Vor zwei Milliarden Jahren: Der erste Sex

Die Frage erscheint müßig, denn Sex gibt es schon seit rund einer Milliarde Jahren, als die ersten Bakterien damit anfingen. Sein Sinn ist die Neukombination von Erbmaterial, nicht die Vermehrung. „Reproduktion ist der Prozess, bei dem sich eine Zelle in zwei teilt, und Sex ist ein Vorgang, bei dem zwei Zellen zu einer verschmelzen“, so hat es der Evolutionsbiologe John Maynard Smith einmal auf den Punkt gebracht. Doch warum geschah das? Und warum blieb es dabei? Das ist ein altes und noch nicht vollständig gelöstes Rätsel der Biologie.

Die sexuelle Fortpflanzung ist zu einem Erfolgsmodell der Evolution und zum Standardmodell für Säugetiere geworden, obwohl sie viele Nachteile hat. So macht sie etwa komplizierte Umbauten im Körper und im Gehirn nötig, um zwei Geschlechter zu schaffen, die sich auch äußerlich und im Sexualverhalten unterscheiden. Doch die individuelle Entwicklung kann ganz unterschiedliche Wege einschlagen. Das zeigen Varianten der menschlichen Sexualität wie die Homosexualität, die Asexualität und die Pädophilie.

Ohne Sex geht‚s schneller

Dabei ist Fortpflanzung auch ohne Sex sehr effektiv möglich, wie viele Organismen beweisen. Sogar höhere Organismen wie Grubenottern, Haie, Molche und Eidechsen; gelegentlich können sich sogar Truthühner per Jungfernzeugung vermehren. Die Eizellen dieser durchweg weiblichen Tiere entwickeln sich ohne Befruchtung durch Samenzellen zu einem vollständigen neuen Tier. Möchte man mit diesen Tieren tauschen? Helen Pilcher, die im „New Scientist“ darüber berichtete, kann sich das durchaus vorstellen. „In der Tat hat ein Leben ohne Männer gewisse Vorteile“, schreibt sie. „Das kann jeder Evolutionsbiologe bestätigen und sicher auch jede Frau, die gerade mit ihrem Freund Schluss gemacht hat. In Populationen, die nur aus Weibchen bestehen, pflanzt sich nicht das Paar, sondern jedes Individuum fort. Solche Tiere können sich schneller vermehren als zweigeschlechtliche Arten.“

Das ist tatsächlich der Fall, wie Vergleiche innerhalb von Arten ergeben, die beide Formen der Fortpflanzung kennen. Bereits in der vierten Generation hat ein asexuelles Weibchen viermal so viele Urenkel wie ein sexuelles. Der Vorsprung wächst mit jeder weiteren Generation. „Ginge es nur um reine Zahlen, Sex wäre schon längst von der Bildfläche verschwunden oder im Laufe der Evolution gar nicht erst aufgetaucht“, sagt Manfred Milinski vom Max- Planck- Institut für Evolutionsbiologie in Plön.

Die evolutionäre Wurmkur

Er selbst hat erheblich dazu beigetragen, eine vorläufige Antwort auf das große Rätsel zu geben, warum die Sexualität sich trotzdem durchsetzen konnte, auch bei den Menschen. Sie ist sehr unromantisch, diese Antwort. Denn sie lautet: Damit wir ein effektives Immunsystem gegen Bakterien und andere sich rasch vermehrende und rasant evolutionär verändernde Krankheitskeime entwickeln können, müssen wir öfter mal die Gene mischen. Dazu braucht es neben der Frau auch den Mann. Und das ist ein wenig kränkend für diesen. „Männer sind also weiter nichts als eine biologische Krankenversicherung“, fasste der Wissenschaftsjournalist Michael Miersch diese Idee einst zusammen, „oder, beschämender noch, eine evolutionäre Wurmkur. Allerdings als solche unverzichtbar.“

Die Romantik kommt aber doch wieder ins Spiel, klammheimlich sozusagen. Nämlich spätestens dann, wenn es darum geht, dass sich die Richtigen finden. Es braucht eine gute Nase dafür, selbst bei Fischen. Ein Stichlingsweibchen kann es im Wasser riechen, ob ein Männchen, das ihm sein selbst gebautes Liebesnest anbietet, die richtigen Gene hat – die passenden Immunfaktoren, die die eigene Ausstattung so gut komplettieren, dass der Nachwuchs optimal geschützt ist. Es sind kleine Eiweißbruchstücke, so genannte Peptide, die der Fisch riecht. Manfred Milinski hat es in vielen ausgefeilten Paarungsexperimenten gezeigt.

Und so ähnlich klappt es auch beim Menschen, wie im Artikel von Hanna Drimalla nachzulesen ist: Beim Tanz in der Disko sind wir nah genug dran am Objekt unserer Begierde, um unseren guten Riecher für den Richtigen oder die Richtige zu beweisen. Ist es nicht fantastisch, was unsere Nase da leistet? Und nicht nur die Nase, auch das nachgeschaltete Gehirn!

Wie man sieht, läuft hier vieles unbewusst ab, auf uralten biologischen Bahnen. Das hat die Natur gut eingerichtet, denn mit dem Verstand allein würden wir hier sicher viel vermurksen. Doch hat unser bewusstes Denken und Entscheiden, haben unsere höheren kognitiven Zentren in Sachen Liebe gar nichts zu melden? Sehr wohl sogar, meinen zwei unserer Autoren, Christian Wolf und Bas Kast. Fürs Heiraten beispielsweise gibt es durchaus rationale Gründe: So bringt ein Trauschein eine im Durchschnitt höhere Lebenszufriedenheit, mehr Freude am Sex – und eine bessere Gesundheit. Das letztere Argument führten amerikanische Wissenschaftler kürzlich an, um sich für die Legalisierung der Ehe unter Homosexuellen stark zu machen.

Gefährliche Gefühle

Und doch wird sie sich niemals vollständig in legale Grenzen sperren, niemals gänzlich zähmen lassen, die Liebe. Dazu ist sie zu anarchisch, dazu sind die dazugehörigen Emotionen zu stark. Nicole Simon zeigt das am Beispiel der Eifersucht, die sich von einem kaum spürbaren Stich zu einem veritablen Wahn steigern – und tödlich enden kann.

Auch Filmregisseur Michael Haneke weiß von der zerstörerischen Kraft, die der Liebe innewohnt, von Anfang an. „Liebe ist gefährlich, lebensgefährlich“, sagte er in einem Gespräch mit dem „Spiegel“. „Liebe ist etwas, was einen selber weit übersteigt.“

 

Liebe ist Biochemie – War das schon alles?

Liebe ist Biochemie – War das schon alles?

Liebe Biochemie

Verliebtsein entfacht im Gehirn ein chemisches Feuerwerk. Und auch wenn sich später der Sturm der Gefühle legt, spielen Hormone eine wichtige Rolle. Ist damit schon alles über eines der großen Mysterien in unserem Leben gesagt?

Das Wichtigste in Kürze

  • Evolutionspsychologischen Theorien zufolge ist Liebe ein Trick der Evolution, um das menschliche Überleben zu sichern.
  • Im Gehirn regt sich beim Anblick des Geliebten vor allem das Belohnungssystem. Areale, die für rationales Denken und dem Einschätzen anderer Menschen zuständig sind, fahren ihre Aktivität nach unten.
  • In der frühen Phase der Liebe spielt vor allem der Botenstoff Dopamin eine große Rolle und sorgt für den Rausch der Gefühle. In späteren Phasen von Beziehungen bestärkt möglicherweise das Hormon Oxytocin die Bindung zwischen den Partnern.
  • Ob sich Liebe wirklich auf die Neurochemie im Gehirn reduzieren lässt, ist umstritten. In vielem steht die Neurowissenschaft der Liebe erst am Anfang. Bisher jedenfalls lässt sich die Komplexität der Liebe nicht im Labor abbilden.

Jungbrunnen fürs Gehirn?

2005 erforschten italienische Wissenschaftler um den Mediziner Enzo Emanuele von der University of Pavia den so genannten Nervenwachstumsfaktor bei verschiedenen Probanden. Das Protein ist unerlässlich dafür, dass das Gehirn „jung“ bleibt, erforderlich für das Leben von Neuronen und das Wachstum von Dendriten. Die Forscher untersuchten 58 Menschen, die frisch verliebt waren, und verglichen sie mit Versuchspersonen, die nicht verliebt waren und mit solchen, die schon lange in einer Beziehung steckten. Die Konzentration des Nervenwachstumsfaktors im Blutplasma der frisch Verliebten war höher als die der Kontrollgruppen. Wie die Forscher vermuteten, könnte das mit dem Gefühl der Euphorie des Verliebtseins in Zusammenhang stehen.

Von wegen Mars und Venus

Es mag zunächst verblüffen: Verliebt man sich, fällt beim Mann der Testosteronspiegel zunächst, und bei der Frau geht er nach oben. Das fanden die Psychiaterin Donatella Marazziti und der Endokrinologe Domenico Canale von der University of Pisa 2004 heraus. Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass sich die Geschlechter in dieser Phase vom Verhalten her angleichen, glauben die Forscher.

Der wissenschaftliche Blick auf die romantische Liebe ist ein nüchterner und nicht selten auch ernüchternd: Das Gefühl, das bei frisch Verliebten Schmetterlinge im Bauch flattern lässt, ist in seinen Augen lediglich das Ergebnis eines geschickt gemixten Hormoncocktails. Die intime Liebe zwischen zwei Menschen – bloß eine evolutionär nützliche Illusion, um die Fortpflanzung zu sichern. Doch wie viel weiß die Wissenschaft tatsächlich von der mächtigsten Kraft in unserem Leben?

Glaubt man der evolutionären Psychologie, hat die Natur mit der Erfindung der romantischen Liebe tief in die Trickkiste gegriffen, um das Überleben der Spezies Mensch zu sichern. Als deren Gehirn im Laufe der Entwicklungsgeschichte immer größer wurde, war der Nachwuchs immer länger auf die Pflege seiner Eltern angewiesen. Daher seien Liebe und die Paarbeziehung praktische Einrichtungen der Evolution, damit beide Eltern die Sprösslinge für eine lange Zeit unter ihre Fittiche nehmen. So argumentieren etwa die Psychologen Lorne Campbell von der University of Western Ontario und Bruce Ellis von der University of Canterbury im „Handbook of Evolutionary Psychology“.

Liebe ist keine Herzensangelegenheit

Das wissenschaftliche Sezieren der Liebe steht in vielem noch am Anfang. Doch eine Sichtweise hat sich schon jetzt radikal geändert: Liebe ist nur noch in der Kunst und in unserem subjektivem Erleben eine Angelegenheit des Herzens. Denn mittlerweile haben Forscher das Gehirn als eigentlichen Ort des romantischen Geschehens ausgemacht.

Pionierarbeit auf diesem Gebiet leisteten 2000 die Neurowissenschaftler Semir Zeki vom University College London und Andreas Bartels, heute am Max- Planck- Institut für Biologische Kybernetik in Tübingen. Sie nahmen per funktioneller Magnetresonanztomografie das Gehirn von 17 Probanden unter die Lupe. Einmal zeigten sie den schwer Verliebten Bilder ihrer Partner und ein andermal Fotos von Freunden. Wie sich zeigte, sprang beim Anblick des innig geliebten Menschen vor allem das limbische Belohnungssystem an.

Geld, Macht und Erotik

Mit Hilfe von bildgebenden Verfahren wurde inzwischen in zahlreichen neurowissenschaftlichen Studien untersucht, was uns motiviert und wo die Motivation im Gehirn zu verorten ist. Geld, die Aussicht auf Gewinn, erotische Fotos und attraktive Gesichter, aber auch wohlschmeckende Fruchtsäfte und soziale Anerkennung aktivieren in Gehirnscans stets das Belohnungssystem.

Abhängig vom dargebotenen Reiz treten dabei aber subtile Unterschiede auf. Beispielsweise entdeckten der Neurowissenschaftler Jean- Claude Dreher und seine Kollegen vom Institut des Sciences Cognitives im französichen Bron 2010, dass der zum Vorderhirn gehörende orbitofrontale Cortex (OFC) unterschiedlich auf Bikinifotos und Geld anspricht. Erotische Reize aktivieren vor allem den hinteren Teil dieses Hirnareals – den so genannten posterioren lateralen OFC. Dass dieser entwicklungsgeschichtlich recht alte Bereich des orbitofrontalen Cortex in diesem Fall reagiert, erklärt Jean- Claude Dreher damit, dass schon unsere vor hunderttausenden Jahren lebenden Vorfahren beim Anblick eines attraktiven, sexy Gegenübers freudig und motiviert reagierten. Oder, wie Evolutionsbiologen sagen würden, reagieren mussten – um das Überleben der Art zu sichern.

Der vorne, nahe der Augen liegende Teil des OFC – der anteriore laterale OFC — wird hingegen bei Aussicht auf finanziellen Gewinn aktiviert. Verglichen mit dem posterioren Teil ist er entwicklungsgeschichtlich relativ jung, was darauf hinweisen könnte, dass die Motivation durch sekundäre Verstärker wie Geld erst in jüngerer Zeit entstanden ist.

Eine weitere Erkenntnis der neurowissenschaftlichen Forschung lautet: Schon eine bloße Neuheit – etwas vorher noch nicht da Gewesenes, wie ein unbekanntes Bild – führt zu einer Aktivierung des Belohnungssystem. Dies belegt neurobiologisch, was Psychologen schon vielfach nachgewiesen haben: Neugier ist eine starke Motivation und eine der wichtigsten Triebfedern des menschlichen Verhaltens.

Gleichzeitig fuhren aber auch manche Areale ihre Tätigkeit nach unten, etwa der präfrontale Cortex Er ist für rationale Entscheidungen wichtig. Außerdem drosselte ein Netzwerk um die temporo- parietale Kreuzung seine Aktivität. Es ist normalerweise dafür zuständig, andere Menschen sozial einzuschätzen. Einige Hirnforscher sehen darin eine Bestätigung für die alltägliche Erfahrung, dass Liebende oft kopflos handeln. Und auch Bartels und Zeki vermuteten in ihren Ergebnissen eine mögliche neurobiologische Erklärung, warum Liebe blind macht.

Das klingt zunächst einmal einleuchtend. Das Problem dabei ist nur: Von den Aktivierungsmustern im Gehirn darauf zu schließen, was psychologisch im Kopf eines Menschen abläuft, ist wissenschaftlich heikel. Das betonte 2003 ein Team um den Psychologen John Cacioppo von der University of Chicago in einer Übersichtsarbeit zum Vorgehen in den sozialen Neurowissenschaften. Trotz solcher Bedenken geht die Deutung von Hirnaktivitäten bis heute munter weiter.

Liebe als Sucht?

2012 trug die Neurowissenschaftlerin Stephanie Cacioppo von der Universität Genf gemeinsam mit Kollegen die Funde der Hirnforschung zur romantischen Liebe zusammen. Das Ergebnis: Leidenschaftliche Liebe entfacht Hirnareale, die mit Euphorie, Belohnung und Motivation in Verbindung gebracht werden. Da sich diese Regionen auch unter dem Einfluss von Opiaten oder Kokain regen, ist für viele Forscher klar, dass sich Liebe und Sucht wohl gar nicht so unähnlich sind. Der Psychologe Jim Pfaus von der Concordia University formuliert es so: „Liebe ist eigentlich eine Gewohnheit, die sich aus sexuellem Begehren ergibt, da Begehren belohnt wird. Es funktioniert in der gleichen Weise im Gehirn, wie wenn Menschen von Drogen abhängig werden.“

Der Blick auf die Hormone scheint ihm Recht zu geben. Gerade in der prickelnden Phase des Verliebtseins überschwemmt der Botenstoff Dopamin das Gehirn. Ausgeschüttet vom Hypothalamus, der wichtigsten Hormonquelle des Gehirns, wirkt Dopamin vor allem im bereits erwähnten limbischen System. Im Volksmund gilt der Botenstoff bereits als Glückshormon. Und er spielt tatsächlich nicht nur bei Belohnungen im Gehirn und bei Euphorie eine Rolle, sondern auch bei Sucht.

Liebe – eine Obsession?

Während der Dopaminspiegel im Rausch der Gefühle zunimmt, nimmt ein anderer Botenstoff ab: Serotonin. Der Serotoninpegel von Verliebten ähnelt denen von Menschen mit einer Zwangsstörung, ergaben erste Untersuchungen. Nicht nur der Hirnforscher Semir Zeki behauptet daher: „Liebe ist am Ende eine Form von Obsession.“ In frühen Stadien lähme sie im Allgemeinen das Denken und lenke es in die Richtung eines einzigen Menschen.

Liebe ist also eine Form der Besessenheit. Auch das hört sich zunächst plausibel an. Wer kennt es schließlich nicht, wie die Gedanken nur noch um einen Menschen kreisen. Doch diese Interpretation ist nicht nur einmal mehr reichlich spekulativ, sondern hat auch noch einen anderen Haken. Zwar spielt das Serotoninsystem nach allem, was man weiß, tatsächlich bei der Liebe eine Rolle. Aber nach einer Übersichtsstudie von 2009 ist nicht gesichert, dass der Serotoninspiegel von romantisch Verliebten immer sinkt.

Hormon der Bindung

Nach den stürmischen Monaten einer neuen Liebe gelangen Paare allmählich in ruhigere Gefilde. Hier kommt das Hormon Oxytocin zum Zuge. Produziert im Hypothalamus, wird es verstärkt in Phasen romantischer Bindung ausgeschüttet. Oxytocin sorgt für Vertrauen gegenüber anderen Menschen, bestimmt, welchen Menschen wir besonders attraktiv finden, und fördert die langfristige Paarbindung und die Treue. Nicht nur beim Menschen übrigens: Präriewühlmäuse neigen eigentlich zur Monogamie. Blockiert man allerdings die Ausschüttung von Oxytocin, wechseln die kleinen Nager den Partner häufiger.

Neurococktail der Liebe

Ist also in Sachen Liebe und Bindung alles eine Frage des richtigen Neurococktails im Gehirn? Und könnte man – zumindest theoretisch – mit Hilfe eines modernen Aphrodisiakums aus köpereigenen Opiaten und Oxytocin jemanden dazu bringen, sich in eine beliebige Person zu verlieben? Der Sozialpsychologe Manfred Hassebrauck von der Bergischen Universität Wuppertal glaubt das nicht. „Sie werden sich dann zwar ganz toll fühlen, verspüren auch mehr Energie und freuen sich. Aber ob Sie verliebt sind, ist eine komplett andere Geschichte.“ Dazu gehöre nämlich noch der kognitive Aspekt der Liebe. „Und eine Person, die wir wahrnehmen als eine, die unseren Wünschen entspricht.“ Die Biopsychologin Beate Ditzen sieht das ganz anders: „Wir haben zwar im Moment einen solchen Cocktail nicht.“ Tatsache sei aber auch, dass ein biologischer Cocktail in uns in einer bestimmten Dynamik das Gefühl der Verliebtheit auslöse. „Das ist die Konsequenz und nicht die Ursache“, glaubt hingegen Manfred Hassebrauck.

Was in der naturwissenschaftlichen Arbeit manchmal allzu schnell unter den Labortisch fällt: Liebe ist ein sehr komplexes Phänomen mit vielen Facetten. Stärker als in neurobiologischen Modellen spiegelt sich das in psychologischen wider. Ein sehr bekanntes stammt von dem Psychologen Robert Sternberg, die so genannte Dreieckstheorie der Liebe. Neben emotionalen und motivationalen Aspekten, die häufig die naturwissenschaftliche Arbeit dominieren, betont Sternberg auch einen kognitiven Aspekt. Er besteht in der rationalen Entscheidung, jemanden zu lieben und eine Bindung mit ihm einzugehen.
Auch viele naturwissenschaftlich orientierte Forscher sind sich im Grunde dieser Vielschichtigkeit von Liebe bewusst, die sich nicht so leicht unter künstlichen Laborbedingungen abbilden lässt. Liebe sei eine komplexe Empfindung, betonen etwa die Hirnforscher Andreas Bartels