Ohr und Psyche

Wenn sich alles um das Ohr dreht

Über die Ohren bekommen wir alle relevanten Informationen aus der Umwelt. Die Schallwellen eines Tones oder Geräusches treffen über den äußeren Gehörgang auf das Trommelfell, das so in Schwingungen versetzt wird.

Diese werden auf die Gehörknöchelchen des Mittelohres und anschließend über eine Membran zum Innenohr übertragen.

Das Innenohr sieht aus wie eine Schnecke und ist mit Flüssigkeit gefüllt. Sie wird in Wellen versetzt und umspült die feinen Härchen der Sinneszellen, die ihrerseits jetzt einen elektrischen Impuls über den Hörnerv in die zuständigen Zentren des Gehirns weiterleiten.

Hier werden die Impulse erkannt und in eine bewusste Wahrnehmung übersetzt: Man hört das Schreien eines Kindes oder die Musik eines bekannten Stückes.

Ohr Psyche

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Wenn wir Geräusche zu leise oder fast unhörbar empfinden, leiden wir unter Schwerhörigkeit; wenn wir Geräusche zu laut erleben, leiden wir unter einer Gehörüberempfindlichkeit; wenn die Geräusche nicht von außen, sondern von innen, aus dem Ohr selbst, kommen, plagt uns ein sehr belastender Tinnitus.

Wir können uns an übermäßigen Lärm nicht gewöhnen, sondern langfristig gesehen nur Schaden nehmen, weil die empfindlichen Sinneshaarzellen dabei absterben.

Lärm wird anhand der Lautstärke in Dezibel (dB) gemessen. Ein Wert über 85 dB bei einer Einwirkzeit von acht Stunden täglich über mehrere Jahre hinweg gilt als gesundheitsschädlich.

Lärm bedeutet einen Dauerstress für unseren Körper, denn er hält ihn durch die Ausschüttung von Stresshormonen in ständiger Alarmbereitschaft. Herz und Kreislauf werden aktiviert, die Verdauungstätigkeit gehemmt, das Immunsystem beeinträchtigt.

Lärm stört den Schlaf und beeinträchtigt die geistige Leistungsfähigkeit, weil die Konzentrationsfähigkeit darunter leidet.

Schlimmstenfalls kann es zu Depressionen und Tinnitus (krankhaften Ohrgeräuschen) kommen. Besonders lärmempfindlich reagieren Schwangere, Kinder, alte Menschen und Kranke.

Viele Menschen benutzen Lärm als Droge; sie suchen geradezu die aufputschende Wirkung der Stresshormone und den Alarmzustand des Körpers.

Man kann aber auch Lärm machen, um Angst abzuwehren, beunruhigende Stille zu vermeiden oder das Selbstbewusstsein durch Lautstärke zu steigern.

Mit den Ohren stehen wir in Dauerkontakt mit der Umwelt; man kann die Augen verschließen, die Ohren aber nicht – außer mit technischen Hilfsmitteln.

Das Hören von Musik oder der Stimme eines geliebten Menschen löst Emotionen aus. Musik im Takt unseres Herzschlags wirkt beruhigend.

Die engen Zusammenhänge zwischen den Ohren und der Psyche bzw. dem zwischenmenschlichen Verhalten zeigen sich in vielen Redewendungen:

Wir sind ganz Ohr, haben für jemand ein offenes Ohr, schenken jemandem Gehör.

Wir möchten um Gehör bitten, zu Gehör kommen und etwas zu Gehör bringen.

Entweder finden wir leicht Gehör oder wir müssen uns erst Gehör verschaffen – oder wir sagen einfach: „Hören Sie!“.

Wir können die Ohren spitzen, nur mit halbem Ohr zuhören oder uns die Ohren zustopfen.

Mitunter sind wir auf einem Ohr taub oder lassen etwas zum einen Ohr hinein und zum anderen wieder hinausgehen.

Manchmal vergeht uns Hören und Sehen und wir lassen die Ohren hängen.

Oft haben wir viel um die Ohren, liegt uns jemand in den Ohren und jammert uns geradezu die Ohren voll.

Subjektive Beeinträchtigungen im Gehörbereich kommen bei verschiedenen psychischen Erkrankungen vor, insbesondere bei Depressionen, Angststörungen und somatoformen Störungen.

Depressive klagen öfter über folgende Beschwerden: Druckgefühl auf beiden Ohren, Ohrengeräusche (Klingeln, Sausen), Schmerzen, Geräuschempfindlichkeit, Verminderung des Hörvermögens ohne organischen Befund, verstärkt bei vorliegender Schwerhörigkeit.

Psychosomatisch relevante Ohrenbeschwerden 

Funktionelle Störungen

Dissoziative Störungen:

  • psychogene Taubheit oder Schwerhörigkeit

Dissoziative Hörstörungen

Die sehr seltenen Phänomene der psychogenen Hörstörungen (dissoziative Taubheit oder Schwerhörigkeit) werden heute als dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen bezeichnet und zu den dissoziativen Störungen (Konversionsstörungen) gezählt; es liegt ein aktueller Konflikt als Auslöser vor.

Eine dissoziative Hörstörung kann auf einem oder beiden Ohren auftreten und äußert sich als teilweiser oder totaler Hörverlust.

Sie verhalten sich dabei völlig anders als Patienten mit organischer Hörverschlechterung: Sie fixieren im Gespräch nicht die Lippen des Gegenübers, wenden ihm nicht das gesunde Ohr zu und beginnen auch nicht, selbst lauter zu sprechen.

Die Störung kann situativ variieren (Hörstörung in Test- und Beobachtungssituationen, fehlende Beeinträchtigung in unbeobachteten und ungezwungenen Gesprächssituationen).

Organische Störungen

Psychosomatisch relevante Ohrerkrankungen:

  • Tinnitus
  • Hörsturz
  • erhöhte Lärmempfindlichkeit
  • Schwerhörigkeit
  • Drehschwindel
  • Menière-Krankheit

Tinnitus

Unter Tinnitus (vom Lateinischen tinnire = klingen) versteht man subjektive Ohrgeräusche ohne äußeres Schallereignis, die folgendermaßen beschrieben werden können: Pfeifen, Brausen, Zischen, Rauschen, Piepsen, Läuten, Knistern, Hämmern, Dröhnen, Klirren, Knacken, Surren, Summen oder Brummen in einem oder beiden Ohren oder im Kopf.

Die Lautstärke und die Lautzusammensetzung variieren, am häufigsten besteht ein hochfrequentes pfeifendes Geräusch.

Sehr quälend ist dabei das Gefühl, den Ohrgeräuschen hilflos ausgeliefert zu sein und nichts dagegen unternehmen zu können.

Erfahrungsgemäß wiegen die Auswirkungen für die Betroffenen oft schwerer als der Tinnitus selbst.

Immer mehr Menschen klagen über Tinnitus, derzeit leiden 4 % der Bevölkerung darunter, davon 1 % erheblich.

10 bis 15 % der Erwachsenen leiden gelegentlich, öfter oder dauerhaft unter störenden Ohrgeräuschen.

Etwa 0,5 % der Erwachsenen sind aufgrund von Ohrgeräuschen nicht mehr in der Lage, ein normales Leben zu führen.

Die Wahrscheinlichkeit, an Tinnitus zu erkranken, steigt mit dem Alter, obwohl die Symptomatik auch schon bei Kindern und Jugendlichen auftritt, bei denen das erhöhte Krankheitsrisiko mit hoher Lärmbelastung durch Disco und Walkman zusammenhängt.

Der Tinnitus kann akut oder chronisch sein, oft erfolgt eine Spontanremission.

Beim akuten Tinnitus, der weniger als drei Monate andauert, besteht eine Durchblutungsstörung des Innenohres.

Durch die gestörte Mikrozirkulation des Blutes bleibt der periphere Hörapparat sauerstoffmäßig unterversorgt und die inneren Haarzellen werden geschädigt. Abhilfe schaffen demgemäß durchblutungsfördernde Mittel.

Beim chronischen Tinnitus, das heißt bei Ohrgeräuschen, die bereits länger als drei Monate bestehen, ist eine derartige Infusionstherapie nicht mehr sinnvoll.

Hier spielt die Art der Verarbeitung des Tinnitus eine wesentlich größere Rolle. Wenn die Betroffenen damit gut zurechtkommen, spricht man von einem kompensierten Tinnitus.

Die übrigen Patienten mit einem so genannten dekompensierten Tinnitus benötigen neben der medizinischen Therapie eine Behandlung, in der auch die psychischen Verarbeitungsmuster und verschiedene psychosozialen Aspekte berücksichtigt werden müssen.

Die permanenten Ohrgeräusche, der Hörverlust im Hochtonbereich und die Übersensibilität gegenüber Geräuschen führen zu einem immensen Leidensdruck mit zahlreichen psychischen, psychosomatischen und sozialen Beeinträchtigungen:

Schlafstörungen, Depressivität, Hilflosigkeit und Kontrollverlust bezüglich des Tinnitus, Nervosität, Ängstlichkeit, allgemeine Reizbarkeit, ständige Anspannung, Konzentrationsstörungen, Spannungskopfschmerzen, Magenschmerzen, akustische Überflutung, Überforderung durch Stimmen und Geräusche unter vielen Menschen mit daraus resultierendem sozialen Rückzug.

Durch eine psychische Störung wie eine Depression oder eine Angststörung kann ein kompensierter und wenig beachteter Tinnitus akut dekompensieren.

Ein Tinnitus kommt oft auch bei Patienten mit somatoformen Störungen wie etwa anhaltenden somatoformen Schmerzstörungen vor.

80 % der Tinnitus-Patienten leiden auch unter einer Hörstörung, die auf einer Innenohrschwerhörigkeit beruht.

Viele der berichteten Beschwerden hängen dann nicht primär mit dem Tinnitus, sondern mit der begleitenden Hörstörung zusammen.

Das reduzierte Sprachverstehen besonders im Gespräch mit mehreren Personen verstärkt den sozialen Rückzug und könnte öfter durch ein Hörgerät verbessert werden.

Viele Tinnitus-Patienten leiden auch unter Verspannungen im Kiefergelenksbereich (bis hin zu nächtlichem Zähneknirschen) sowie im Hals-, Nacken- und Schulterbereich, sodass eine gezielte Entspannung der entsprechenden Muskulatur lindernd wirkt.

Bei einem dekompensierten Tinnitus erfolgt keine Gewöhnung, das heißt keine Toleranzentwicklung.

Die Aufmerksamkeit bleibt ständig auf die Geräusche gerichtet, die als bedrohlich interpretiert werden; das erklärt die ständige psychische und körperliche Anspannung.

Gerade hier setzen psychologische Therapiemaßnahmen an: Die störenden Ohrgeräusche sollen durch bestimmte Techniken zur Umlenkung der Aufmerksamkeit besser ertragen gelernt werden.

Tinnitus-Patienten mit hohen und niedrigen Beeinträchtigungsgefühlen unterscheiden sich voneinander dadurch, wie sie die Störung bewältigen und welche Strategien sie dabei anwenden.

Hörsturz

Unter Hörsturz versteht man eine akute, meist einseitige Hörminderung in der Gehörgangsschnecke, der knöchernen (Innenohr-)Schnecke im Schläfenbein.

Die Störung kommt bei etwa 20 von 100.000 Menschen vor und ist im Steigen begriffen.

Der Grad der Hörstörung reicht von leichter Hörminderung bis zur völligen Taubheit, die allerdings nur selten auftritt. Meist sind hohe und mittlere Frequenzen betroffen.

Ein Hörsturz erfolgt meistens bei völliger Gesundheit aus heiterem Himmel, rund die Hälfte der Betroffenen bemerkt ihn nach dem morgendlichen Erwachen.

Als häufigstes Begleitsymptom tritt bei 70 bis 80 % der Betroffenen ein belastender Tinnitus auf, daneben auch ein Druckgefühl im Ohr, Schwindel, Gleichgewichtsstörungen und Kopfschmerzen mit Übelkeit.

Die unmittelbaren Ursachen liegen wahrscheinlich in einer verminderten Durchblutung und infolgedessen in einer Sauerstoffunterversorgung der Sinneshaarzellen.

Ein Hörsturz kann völlig ausheilen, während ein Tinnitus häufig chronifiziert.

Erhöhte Lärmempfindlichkeit (Hyperakusis)

Die so genannte Hyperakusis bezeichnet den Umstand, dass Signale von bereits geringer Intensität als zu laut und/oder unangenehm wahrgenommen werden.

Die Betroffenen, die an sich ein normales Gehör aufweisen, erleben schon Geräusche wie das Rauschen einer Klimaanlage oder das Umblättern einer Zeitung, ja sogar ihre eigene Stimme als störend bis quälend.

Eine Hyperakusis tritt oft zusammen mit einem Tinnitus einseitig (43 %) oder beidseitig (53 %) auf, und zwar oft erst Wochen oder Monate nach dem akuten Tinnitus; sie kann aber auch ohne Tinnitus vorkommen.

Manchmal führt eine jahrelang bestehende Hyperakusis langsam zu einem Tinnitus.

Die Störung ist auch beidseitig nach einem einseitigen Trauma wie einem Hörsturz möglich.

Schwerhörigkeit

Schwerhörigkeit ist die häufigste Berufskrankheit.

Jeder zweite Rentner leidet unter einer Hörminderung, 2 % der Schulkinder sind auf beiden Ohren schwerhörig.

Bedenklich ist vor allem der Anstieg von Gehörschäden in der jugendlichen Bevölkerung. 28 % aller 20-Jährigen leiden in Deutschland unter einem Hörverlust von mindestens 25 Dezibel, überwiegend bedingt durch laute Musik aus Walkman, CD-Player und Discolautsprechern.

Die Betroffenen leiden unter Nervosität, Reizbarkeit, Unruhe, Kopfschmerzen, verminderter Belastbarkeit, Kontaktschwierigkeiten, sozialem Rückzug und Vereinsamung, depressiver Verstimmung und Verlust des Selbstvertrauens, manchmal auch unter paranoiden Fehldeutungen.

Drehschwindel

Beim typischen Vertigo mit Drehschwindel, dem so genannten peripher-vestibulären Schwindel (wie er durch eine Innenohrlähmung bewirkt wird), berichten die Betroffenen über eine Scheinbewegung der eigenen Person oder der Umwelt sowie von vegetativen Beschwerden wie Übelkeit, Brechreiz, Blässe und kaltem Schweiß.

Menière-Krankheit

Bei der Menière-Krankheit kommt es zu Anfällen von plötzlich auftretendem Drehschwindel mit Übelkeit bis zum Erbrechen, die ohne erkennbaren Anlass zu jeder Tages- und Nachtzeit auftreten können.

Sie dauern minuten- bis stundenlang an und wiederholen sich in unterschiedlich großen Abständen.

Das Schwindelgefühl kann so stark ausgeprägt sein, dass der Patient nicht mehr allein stehen kann.

Zusätzlich besteht ein zeitweise auftretender Hörverlust, verbunden mit Tinnitus und einem Druckgefühl im betroffenen Ohr.

Der auftretende Tinnitus ist tieftonfrequent und wird während eines Anfalls stärker. Die Krankheitsursache liegt in einem Stau der Lymphflüssigkeit im Ohr mit der Folge eines steigenden Flüssigkeitspegels.

Entweder wird zu viel Flüssigkeit produziert oder zu wenig abgebaut.

Psychosomatische Konzepte

Psychologische Faktoren

Bei dissoziativen Hörstörungen meinen Psychoanalytiker: Unbewusst wollen die Betroffenen „etwas nicht hören“.

Beim Tinnitus können chronischer Stress und Depressionen als krankheitsauslösend oder -verstärkend angesehen werden, vor allem jedoch zeigen sich häufig psychische und psychosoziale Folgestörungen wie Hilflosigkeits- und Kontrollverlustgefühle, Depressionen, Schlafstörungen, Kommunikationsstörungen, sozialer Rückzug und Angstzustände.

Eine Arbeitsunfähigkeit resultiert oft aus der Konzentrationsstörung, der verwirrenden akustischen Reizüberflutung unter vielen Menschen und der Erschöpfung nach längerer äußerer Lärmbelästigung.

Ein Hörsturz wird oft durch chronische Überlastungen, aktuelle Konfliktsituationen und einen ständigen emotionalen Spannungszustand ausgelöst.

Häufig kommt zu einem Dauerstresszustand noch ein schicksalhaftes Ereignis (Unfall, Todesfall, Erkrankung) hinzu, das den Hörsturz begünstigt.

Die Zusammenhänge zwischen Hörsturz und Stress sind leicht nachvollziehbar: Bei Stress wird vermehrt das Stresshormon Kortisol ausgeschüttet, das die Blutgefäße verengt und die Fließeigenschaften des Bluts verschlechtert; das Blut wird dicker und kann sogar gerinnen.

In den kleinen Gefäßen des Innenohres kann es so zum Gefäßverschluss kommen – und damit zum Hörsturz, der nichts anderes als ein Infarkt des Innenohres ist.

Als Folge davon wird die Sauerstoffzufuhr zu den im Innenohr sitzenden, hoch empfindlichen Sinneszellen unterbrochen.

Die Menière-Krankheit führt im Laufe der Zeit zu einer erheblichen psychosozialen Beeinträchtigung. Die Betroffenen ziehen sich aus Angst vor einem Schwindelanfall in der Öffentlichkeit immer mehr zurück und bekommen nicht selten Angststörungen und Depressionen.

Therapeutische Strategien

Beim chronischen Tinnitus und bei der Menière-Krankheit stehen nicht die Heilung, sondern die Verbesserung der Lebensqualität und die Unterbrechung des Vermeidungsverhaltens (Vermeidung von Geräuschen, sozialen Kontakten und Aktivitäten) im Vordergrund der Therapie.

Für die psychologisch-psychotherapeutische Behandlung von Tinnitus ist die gegenwärtige Auffassung maßgeblich, dass es sich dabei letztlich um ein Geschehen im Gehirn und nicht im Ohr handelt.

Aus dieser Sicht sind psychologische Maßnahmen zum erfolgreicheren Umgang damit sowie zur besseren Bewältigung symptomverstärkender Stressfaktoren dringend notwendig und zwar vor allem bei der chronischen, bislang unheilbaren Variante der Störung.

Viele Experten sind der Meinung, dass es sich beim chronischen Tinnitus letztlich um eine somatoforme Störung handle, da eventuell vorhandene Organbefunde (leichte Lärmschädigung, Halswirbelsäulenverspannungen oder Gefäßverengungen) das Störungsausmaß nicht vollständig erklären können.

In der Therapie soll der eskalierende Teufelskreis von Aufmerksamkeitszuwendung, negativer Bewertung der Geräusche, verstärkter Stressreaktion und Tinnitus-Verschlimmerung unterbrochen werden.

Reine Entspannungsübungen sind bei Tinnitus wenig wirkungsvoll, hilfreicher sind dagegen so genannte multimodale Bewältigungsstrategien.

Sie führen zwar nicht zur Beseitigung, wohl aber zur besseren Bewältigung der Symptomatik und damit zu einer höheren Lebensqualität. Diese Strategien sind auch bei Hyperakusis wirkungsvoll:

Informationsphase (Psychoedukation).

Umfassende Informationen über den gegenwärtigen Stand der Erforschung und Behandlung des Tinnitus sollen die oft schon sehr resignierten Patienten zu nichtmedikamentösen Therapieversuchen ermutigen, wenn alle medizinischen bislang gescheitert sind. Die Betroffenen müssen, damit sie bei subjektiv lautem Tinnitus nicht gleich in Panik zu geraten, lernen, was in diesem Moment in ihrem Kopf geschieht. Sie sollen zu der neuen Erfahrung ermutigt werden, dass sie sich an den Tinnitus in ähnlicher Weise gewöhnen können wie Menschen an den Lärm einer nahen Autobahn, indem sie sich mit anderen Dingen beschäftigen.

Entspannungstechniken.

Entspannungsverfahren und selbsthypnotische Techniken fallen anfangs oft recht schwer, weil sie durch die Ruhe und die Zuwendung auf den Körper auch den aufdringlichen Tinnitus in Erinnerung bringen, können aber im späteren Verlauf dennoch nützlich und hilfreich sein.

Umlenkung der Aufmerksamkeit.

Die Betroffenen lernen, durch Vorstellungsübungen ihre Aufmerksamkeit auf angenehme Inhalte zu richten, um ihren Tinnitus besser auszublenden. Emotionszentrierte und nichtsprachliche Techniken wie Gestaltungstherapie und Körpertherapie verbessern die Fähigkeit der Aufmerksamkeitslenkung.

Expositionstraining.

Betroffene neigen dazu, äußere Geräuschquellen wie Straßenlärm, Konzerte oder Gespräche möglichst zu vermeiden, was die Überempfindlichkeit noch verstärkt. Eine langsame, dosierte Gewöhnung an Alltagsgeräusche muss regelrecht trainiert werden, um sich auch in diesen Situationen wieder häufiger aufhalten zu können und eine bessere Entspannung zu erreichen. Durch eine dosierte Konfrontation mit der Umwelt erfolgt auch wieder ein Aufbau von Aktivitäten, deren Nachlassen häufig eine depressive Reaktion begünstigt hat.

Änderung der Denkmuster (kognitive Therapie).

Ungünstige Denkmuster („Tinnitus ist ein Vorbote des Schlaganfalls“, „Ich bin nichts wert, wenn ich so weiterleben muss“) sowie ständig überfordernde Einstellungen („Ich muss perfekt sein, um die Kontrolle nicht zu verlieren“) müssen analysiert und geändert werden; dadurch wird der Therapieprozess oft hilfreich unterstützt.

Tinnitus-Retraining.

Dies ist eine relativ neue Methode des Umlenkens der Aufmerksamkeit: Ein kleines Gerät im Ohr („Rauschgenerator“ oder „Noiser“ genannt) gibt Geräusche ab, die eine Spur leiser eingestellt sind als der Tinnitus und damit eine Desensibilisierung (Gewöhnung) des Gehörs ermöglichen. Es gibt aber auch einfachere Möglichkeiten: Dauerbeschallung durch Hintergrundmusik, einen Zimmerspringbrunnen oder durch eine CD mit Wassergeräuschen lenkt ebenso vom Tinnitus ab. Hier sollten jedoch die von außen kommenden Geräusche den Tinnitus nicht überdröhnen, weil sonst kein Anreiz zur Gewöhnung besteht.

Beim Hörsturz können psychologische Stressbewältigungs- und Entspannnungstherapien dazu beitragen, einen neuerlichen Hörsturz zu vermeiden.

Eventuell bleibende Folgen des Hörsturzes können ein Tinnitus-Bewältigungstraining erforderlich machen.

Bei der Menière-Krankheit liegen die Ansatzpunkte für eine psychosomatische Behandlung in den vorausgegangenen Stressphasen, in einer meist sehr leistungsorientierten Persönlichkeitsstruktur und in der hohen Erwartungsangst bezüglich eines nächsten Anfalls.