Blase und Psyche
Wenn sich alles um die Blase dreht
Der Urogenitaltrakt umfasst den Bereich von Niere, Harnleiter, Harnblase, Harnröhre, Prostata und Geschlechtsorganen.
Der Urogenitaltrakt hat mehrere Aufgaben: Er ist gleichzeitig Produktionsorgan (Harnbildung), Reproduktionsorgan (Zeugung) und Lustorgan (Sexualität).
Die komplexen körperlichen und seelischen Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Funktionen müssen bei Störungen stets bedacht werden.
So sind Blasenprobleme nach einer Vergewaltigung keine Seltenheit.
In diesem Abschnitt geht es nur um den Harn und die damit in Verbindung stehenden Organe, auf sexuelle Störungen kann aus Platzgründen nicht eingegangen werden.
Der Harn wird in der Niere gebildet und fließt über die Harnleiter in die Harnblase.
Die Harnröhre als der Abflussweg des Harns von der Harnblase bis zum Austritt ist bei der Frau sehr kurz und daher sehr entzündungsanfällig, beim Mann dagegen etwa 25 cm lang.
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In der Harnblase können sich bis zur Entleerung 400 bis 500 ml Harn ansammeln, bei 350 bis 450 ml Füllmenge setzt der Harndrang ein, der das Signal für die willkürliche Entleerung darstellt.
Die Harnblase befindet sich im kleinen Becken und liegt auf einer Muskel- und Sehnenplatte auf, die rundherum an den Knochen befestigt ist und als Beckenboden bezeichnet wird.
Diese Muskulatur lässt sich willkürlich anspannen, was beim Beckenbodentraining bei Harninkontinenz gezielt genutzt wird.
Beim Mann befindet sich zwischen der Harnblase und dem Beckenboden die Prostata, die die Harnröhre umgibt.
Bei der Frau wird die darüber liegende Gebärmutter bei voller Blase etwas gehoben, im Falle einer Gebärmuttersenkung wird die Blase dagegen etwas zusammengedrückt.
Beim Harnlassen müssen der Blasenmuskel und der Schließmuskel richtig zusammenarbeiten: Die Blasenentleerung wird vom parasympathischen Nervensystem bewirkt, indem dieses die Muskulatur der Harnblase anspannt, während sich die Muskulatur des Verschlussmuskels entspannt.
Beim Harnlassen muss die ganze Beckenbodenmuskulatur vollständig entspannt sein, sonst kommt es zu einer Störung des Wasserlassens.
Im Volksmund weisen einige Redewendungen auf die Bedeutung der Harnblase und der Ausscheidungsfunktion in Zusammenhang mit Emotionen wie Angst, Wut oder Ärger hin: Jemand macht sich vor Angst in die Hose oder ihm schlägt sich der Ärger auf die Blase.
Manchmal muss jemand bildlich gesprochen die Hose runterlassen, das kann ihm dann ziemlich an die Nieren gehen.
Funktionsstörungen im Bereich der Harnblase werden durch das unkoordinierte Zusammenwirken der Blasenmuskulatur, der beiden Schließmuskeln und der Beckenbodenmuskulatur ausgelöst.
Stress und emotional bedingte Anspannung (Angst, Ärger, Wut) führen schon bei einer geringeren Blasenfüllung als 300 Milliliter zum Harndrang und lösen das Signal für die willkürliche Entleerung aus.
Das parasympathische Nervensystem bewirkt eine Aktivierung der Ausscheidungsorgane (Darm- und Blasenentleerung); man muss ständig auf die Toilette laufen.
Subjektiv äußern sich Schock- oder Schreckreaktionen häufig als Harndrang („Reizblase“), tatsächlicher Harnverlust (Stressinkontinenz), Stuhldrang, Durchfall und das allgemeine Gefühl, gleich „in die Hose zu machen“.
Darm- und Blasenentleerungen bei Angst und Gefahr sind im Rahmen der Evolution zu verstehen: Durch den Gewichtsverlust wird die Flucht erleichtert.
Jeder kennt diese Erfahrung: Vor einer Prüfung, vor einem Vorstellungsgespräch oder einem anderen wichtigen Termin muss man plötzlich in kurzen Abständen die Toilette aufsuchen.
Wenn dies nicht möglich ist, steigt der Blasendruck fast unerträglich stark an; wenn eine Toilette grundsätzlich erreichbar ist, kann man plötzlich noch ein wenig zuwarten.
Bei Stress, Erregung und Angst können die Ausscheidungsorgane durch das sympathische Nervensystem auch gehemmt werden. Subjektiv kann sich dies als Harnverhalten äußern.
Im Bereich der psychischen Erkrankungen zeigen sich außer bei Angststörungen vor allem bei Depressionen folgende Blasenstörungen: erschwerte (schmerzhafte) Harnentleerung, häufiger Harndrang, Ziehen und Druckgefühle in der Blase, Harninkontinenz (unfreiwilliger Harnabgang).
Psychosomatisch relevante urologische Störungen
Funktionelle Störungen
Somatoforme autonome Funktionsstörungen des urogenitalen Systems:
- Reizblase
- weibliches Urethralsyndrom
- psychosomatisches Urogenitalsyndrom des Mannes
- Harnverhaltung
- Harnflut (Polyurie)
Reizblase
Die häufigste somatoforme Urogenitalstörung ist die Reizblase, die vor allem bei Frauen, gelegentlich aber auch bei Männern vorkommt.
Im Gegensatz zur sekundären Reizblase, die Folge einer Erkrankung ist, findet man bei der primären Reizblase keine greifbare Ursache.
Diese funktionelle Störung weist folgende Symptome auf: plötzlicher, abnorm häufiger Harndrang (auch bei kleinen Mengen), typischerweise jedoch ohne Inkontinenz, sowie gelegentlich auch Schmerzen oder Brennen beim Harnlassen.
Im Mittelpunkt des körperlichen Erlebens steht ein ständiger Harndrang bei meist geringer Füllung der Harnblase, der durch bestimmte Angst auslösende Umstände verstärkt wird, vor allem agoraphobische Situationen und eine fehlende oder nicht erreichbare Toilette.
Ein befürchteter Harndrang stellt oft den Grund dar, warum Kino- und Konzertbesuche sowie längere Reisen und Autobusfahrten vermieden werden oder Fahrten bzw. Spaziergänge nur bei Erreichbarkeit von Toiletten unternommen werden.
Die Betroffenen trinken aus Angst vor Harndrang viel zu wenig und verstärken damit unwissentlich die Symptomatik, weil der Harn bei Flüssigkeitsmangel konzentrierter ist und den Blasenwandmuskel zusätzlich reizen kann.
Eine Reizblasensymptomatik kann eine Angststörung verstärken oder ist sogar Ausdruck einer Angststörung (insbesondere einer Agoraphobie), sie kann aber auch im Rahmen einer Depression oder einer sexuellen Störung auftreten. Manchmal geht eine Reizblase auch mit diffusen Unterbauchbeschwerden einher.
Harndrang-Patientinnen haben beim Harnlassen keine Schmerzen, wenngleich sie am Ende manchmal durch die Betätigung des Schließmuskels ziehende oder brennende Schmerzen in der Harnröhre verspüren, die meist 10 bis 15 Minuten anhalten und dann spontan verschwinden.
Hier spiegelt sich die Verspannung im Schließmuskel und im Beckenbereich wider, die bis in die Harnröhre ausstrahlt.
Der Teufelskreis in Richtung einer immer belastenderen Reizblasensymptomatik wird vor allem durch zwei Vorgänge verschärft.
Einerseits bewirkt das Öffnen des Schließmuskels beim Harnlassen eine kurzfristige Spannungslösung des Dauerharndrangs und damit eine vorübergehende Symptomerleichterung.
Andererseits kann das häufige Urinieren beim leisesten Harndrang zu einer sekundären Verringerung der Blasenkapazität führen, die dann ihrerseits zur Verstärkung der Beschwerden beiträgt.
Weibliches Urethralsyndrom
Das weibliche Urethralsyndrom unterscheidet sich von der Reizblasensymptomatik dadurch, dass der charakteristische Harndrang fehlt, statt dessen bestehen krampfartige, brennende und pochende Schmerzen, die auf die Harnröhre und den Übergang von der Harnröhre in die Scheide (klitorisnah) beschränkt sind.
Die Schmerzen treten bevorzugt anfallsweise auf, werden als krampfhaft-brennend oder pochend erlebt, dauern meist etwa eine halbe Stunde oder länger an und treten oft am Ende des Harnlassens auf – oder unabhängig davon und können dann (im Gegensatz zum Reizblasensyndrom) auch zu Schlafstörungen führen.
Das anfallsweise Auftreten hängt mit einer akuten, emotional bedingten Anspannung chronisch verspannter Muskeln oder Muskelgruppen beim Scheideneingang zusammen, was das Schmerzerleben in der Nähe des Harnröhrenausgangs und der Klitoris erklärt.
Das Betätigen des Schließmuskels während des Schmerzanfalls bewirkt eine massive Symptomverstärkung.
Die Symptomatik wird nicht selten als schwere Reizblasensymptomatik oder trotz fehlender Laborbefunde als Blasenentzündung antibakteriell behandelt und dann als „therapieresistent“ eingestuft.
Psychosomatisches Urogenitalsyndrom des Mannes
Die häufigste somatoforme Störung des urogenitalen Systems beim Mann, das bei der Hälfte der Patienten mit Prostatabeschwerden vorkommt, ist das psychosomatische Urogenitalsyndrom – auch Prostatopathie, Prostatodynie, chronische Prostatitis oder vegetatives Urogenitalsyndrom genannt.
Diese Begriffe sind insofern missverständlich, als ein organischer Zusammenhang mit der Prostata nahe gelegt wird, der nicht vorhanden ist.
Akute oder chronische bakterielle Entzündungszeichen fehlen oft – und selbst im Falle einer Entzündung ist das Ausmaß der Prostatopathie dadurch nicht ausreichend erklärbar.
Das zeigt sich vor allem dadurch, dass die Störung auch nach der Einnahme von Antibiotika und nach dem Rückgang der Entzündungszeichen bestehen bleibt.
Bei rund der Hälfte der Betroffenen fehlen infektiologisch-bakterielle Befunde, was auf die Bedeutung psychischer Faktoren hinweist.
Bei mehr als der Hälfte der Patienten treten auch funktionelle Sexualstörungen auf.
Wegen der Schmerzen werden die Betroffenen oft auch sexuell inaktiver, während das Gegenteil ratsamer wäre: Sexuelle Befriedigung führt zur Entspannung der Muskulatur!
In Analogie zu den chronischen Unterleibsbeschwerden der Frau sollte man die gesamte Symptomatik zukünftig als „idiopathische Unterleibsbeschwerden des Mannes“ bezeichnen und diese ebenfalls zu den anhaltenden somatoformen Schmerzstörungen zählen.
Die Störung, die aus diffusen Beschwerden im Unterbauch- und Beckenbereich besteht, hängt mit einer schmerzhaften Beckenbodenverspannung („Beckenbodenmyalgie“) zusammen und ist durch eine Vielfalt von Symptomen charakterisiert:
Beschwerden im Bereich der Harnwege und beim Wasserlassen: häufiger Harndrang, Startverzögerung oder Schmerzen beim Wasserlassen, Brennen in der Harnröhre während oder nach dem Wasserlassen bzw. unabhängig davon, Nachträufeln, Jucken und Kitzeln in der Harnröhre, Schmerzen in der Blase, häufiges nächtliches Aufstehen wegen Harndrangs.
Beschwerden im Darm- und Afterbereich: Druckgefühl im Damm, Spannungsgefühle im Afterbereich, oft ausstrahlend bis in den Enddarm, Stuhldrang, Stuhlunregelmäßigkeiten, Schmerzen beim Stuhlgang, Verstärkung bestehender Darmbeschwerden durch Betätigung der Schließmuskeln bzw. des jeweiligen Schließmuskels (bis zu 30 Minuten nach dem Harnlassen). Beschwerden in der Genitalregion: Missempfindungen im Genitalbereich, ausstrahlende Schmerzen oder Druckgefühle im Schambeinbereich, am Glied und in den Hoden („Hodenschmerzen“).
Beschwerden in anderen Körperbereichen: ziehende Schmerzen in den Leisten (ein- oder beidseitig), Spannungsgefühle und Schmerzen im Kreuzbeinbereich.
Störung der Sexualfunktion: Libidomangel, Erektionsstörungen, schmerzhafter oder vorzeitiger Samenerguss, Orgasmusunfähigkeit, Ejakulation blutiger Samenflüssigkeit.
Harnverhaltung
Eine psychogene Harnverhaltung besteht in einem erschwerten Wasserlassen in Überforderungs- oder Beobachtungssituationen.
Eine nichtorganisch bedingte Harnverhaltung (vom Willen nicht gesteuertes und nicht steuerbares Zurückbleiben von Urin in der Harnblase bzw. Schwierigkeiten, spontan Harn zu lassen) tritt vor allem bei Frauen auf, die sexuelle Traumatisierungen oder andere sexuell beängstigende Erfahrungen gemacht haben.
Stress kann die Ringmuskeln in der Blasenregion zusammenziehen und die Harnröhre verschließen.
Irritationen in diesem Bereich zeigen sich bei vielen Männern in der Form, dass sie nicht Harnlassen können, wenn sie sich beim Pissoir beobachtet fühlen, oder dass der Harnstrahl stockt, wenn plötzlich jemand in den Raum kommt.
Unter dieser „Paruresis“ genannten Störung leiden 3 bis 7 % der Männer. Diese Symptomatik wird oft als Ausdruck einer sozialen Phobie gesehen.
Harnflut (Polyurie)
Stress oder Erregung kann eine psychogene Harnflut begünstigen, wo trotz normaler Trinkmenge innerhalb von zwei bis vier Stunden große Mengen (bis zu drei Liter) eines stark verdünnten, wasserklaren Urins ausgeschieden werden, sodass ein häufiger Toilettenbesuch nötig ist.
Organische Störungen
Psychosomatisch relevante Blasenstörungen:
- chronische Blasenentzündung
- Harninkontinenz
Chronische Blasenentzündung (Urethrozystitis)
Die häufigste organisch bedingte Blasenstörung bei der Frau ist die Blasenentzündung, die charakterisiert ist durch einen meist rasch einsetzenden, schmerzhaften Harndrang, einen trüben Urin mit auffälligem Geruch und manchmal auch Blut im Harn.
Bei chronischer Symptomatik (zwei bis drei, manchmal sogar bis zu zwölf Infekte pro Jahr) sind oft psychosomatische Aspekte zu beachten, die am besten durch ein gestörtes Immunsystem zu erklären sind, das durch psychosoziale Faktoren (familiärer, partnerschaftlicher oder beruflicher Stress) überlastet ist.
Als Folge der urologischen Symptomatik kommt es häufig auch zu sexuellen und/oder partnerschaftlichen Problemen.
Harninkontinenz
Die Harninkontinenz mit unwillkürlichem Abgang von Urin kommt bei Frauen dreimal so oft vor wie bei Männern und ist bei ihnen eine der wichtigsten und belastendsten organisch bedingten Störungen im urologischen Bereich, die vor allem auch wegen ihrer psychischen Folgewirkungen erwähnt werden soll.
Man unterscheidet vier Formen, von denen die Stressinkontinenz und die Dranginkontinenz die wichtigsten sind.
Von den Patienten mit einer Harninkontinenz weisen 35 % eine Stressinkontinenz, 25 % eine Dranginkontinenz und 30 % eine Mischung aus Stress- und Dranginkontinenz auf.
16 % der Frauen und 5 % der Männer weisen eine Harninkontinenz auf, wobei allerdings nur bei 17 % der Betroffenen eine tägliche Inkontinenz besteht.
Stressinkontinenz bezeichnet einen unfreiwilligen Harnverlust bei körperlichem (nicht psychischem!) Stress, etwa beim Lachen, Husten, Springen oder Heben, wenn der Druck im Bauchraum etwas erhöht ist.
Dies führt dazu, dass bereits geringe Druckerhöhungen im Bauchraum einen Harnaustritt bewirken, ohne dass sich die Muskulatur zusammenzieht.
Die Ursache besteht meist in einer Schwäche der Beckenbodenmuskulatur, wie sie vor allem nach Geburten auftritt (jede dritte Frau ist nach der Entbindung harninkontinent).
In der Folge rutschen die Gebärmutter und damit auch die Blase tiefer, wodurch es schwerer wird, den Blasenverschluss aufrechtzuerhalten.
Eine Stressinkontinenz kommt vor allem bei älteren Frauen als Folge eines Hormonmangels vor und ist verständlicherweise sehr belastend, sodass nicht selten ein Rückzugs- und Vermeidungsverhalten einsetzt.
Ein Training zur Stärkung der Beckenbodenmuskulatur ist dringend erforderlich. Aus Angst vor Problemen trinken die Betroffenen oft zu wenig, während gerade eine hohe Flüssigkeitszufuhr zur Reinigung des Urogenitaltrakts notwendig wäre.
Bei einer Dranginkontinenz zieht sich die Blasenmuskulatur zusammen: Es entsteht ein unwiderstehlicher Harndrang und in der Folge wird auch Harn abgeführt.
Mögliche Ursachen: Neben organischen Faktoren wie etwa einer Blasenentzündung kann auch eine zentralnervöse Fehlsteuerung durch psychische Faktoren vorliegen. Der Blasenverschlussmechanismus ist dabei intakt.
Psychosomatische Konzepte
Psychologische Faktoren
Psychosomatische Konzepte sind in der Urologie im Gegensatz zu anderen Fachbereichen noch nicht genügend entwickelt und erforscht.
Als nichtorganische Ursache von Blasenentleerungsstörungen werden oft von Psychoanalytikern in falscher Verallgemeinerung Sexualstörungen angeführt.
Bei sexuellen Traumatisierungen von Frauen ergibt sich tatsächlich eine auffällige Mischung von urologischen, sexuellen und gynäkologischen Problemen: Schmerzen beim Harnlassen, Reizblase, chronische Unterleibsschmerzen, vaginaler Ausfluss, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr und Orgasmusunfähigkeit.
Die häufigsten Auslöser sind jedoch emotionaler Stress, Partnerprobleme und schwere Belastungssituationen.
Die Ursache der Reizblasensymptomatik liegt in einer emotional bedingten Anspannung des externen Blasenschließmuskels.
Oft besteht eine Verspannung im gesamten Beckenbereich, vor allem jedoch im Beckenbodenbereich.
Die betroffenen Frauen nehmen ihre Reizblasensymptomatik nur im Wachzustand wahr, während der Schlaf ungestört ist, was allein schon auf den psychosomatischen Charakter hinweist.
Sie verwechseln den Harndrang nicht selten völlig unberechtigt mit einer Inkontinenzgefahr.
Die Symptomatik tritt oft in bestimmten Situationen auf, typischerweise dann, wenn keine Toilette erreichbar ist.
Der Zusammenhang mit sexuellen Problemen ist keinesfalls zwingend.
Das Modell der verstärkten Aufmerksamkeitsfixierung auf einen bestimmten Organbereich, das Modell der Muskelverspannung sowie das Stressmodell sind oft hilfreichere Erklärungskonzepte:
- Funktionelle Störungen im Urogenitalbereich basieren auf einer muskulären Spannung bzw. Verspannung im Unterbauch- und Beckenbereich, die den Betroffenen gewöhnlich gar nicht bewusst ist. Beckenbeschwerden bei Frauen und Männern sind demnach häufiger Ausdruck einer Beckenbodenverspannung („Beckenbodenmyalgie“).
- Eine Reizblase entsteht gewöhnlich durch chronischen Stress, allgemeine vegetative Erregung, starke Ängste oder innere Wutspannung und wird häufig durch ein allgemein erhöhtes Sicherheits- und Kontrollbedürfnis verstärkt. Hier zeigt sich der Teufelskreis einer erhöhten Aufmerksamkeitsfixierung recht deutlich: Eben weil die Betroffene weiß, dass sie in emotional belastenden Situationen einen verstärkten Harndrang verspüren könnte, konzentriert sich ihre Aufmerksamkeit immer mehr auf die Blase, wodurch das vegetative Erregungsniveau ansteigt und tatsächlich ein verstärkter Harndrang einsetzt.
- Eine Dranginkontinenz entsteht oft durch eine ständige Verspannung der Beckenbodenmuskulatur, bedingt durch Angst, Erregung, sexuelle Probleme oder Erfahrungen sexueller Gewalt.
- Eine Prostatopathie sowie erschwertes Harnlassen oder Brennen in der Harnröhre hängen mit einer Beckenbodenverspannung zusammen.
Therapeutische Aspekte
In der Psychotherapie ist ein äußerst individuelles Vorgehen erforderlich, weil Patienten mit psychosomatisch relevanten urologischen Störungen eine sehr heterogene Gruppe sind:
Psychoedukation.
Sehr wichtig ist die Vermittlung eines biopsychosozialen Krankheitsmodells, denn gewöhnlich wissen die Patienten nicht um die Körper-Seele-Zusammenhänge Bescheid oder können diese nicht wirklich nachvollziehen.
Entspannungsübungen.
Autogenes Training, Atemtechniken und Biofeedback-Therapie können den Druck auf die Blase mildern, weil dadurch die körperliche Grundspannung besser wahrgenommen und reduziert wird.
Stressbewältigungstraining.
Der Druck auf die Blase hängt oft mit anderen Druck- und Belastungssituationen im Leben zusammen. Menschen mit psychosomatisch-urologischen Problemen müssen lernen, mit den aktuellen Stresssituationen besser umzugehen.
Verzicht auf ständiges Körperkontrollverhalten.
Dadurch werden die Symptome erst recht verstärkt, sodass eine Umlenkung der Aufmerksamkeit auf die Umwelt sehr wichtig ist.
Körperorientierte Therapie.
Bevor Ablenkungsstrategien dauerhaft wirken können, ist es unbedingt notwendig, sich selbst zunächst in Entspannung und später auch unter körperlicher Anspannung angst- und stressfrei zuwenden und wahrnehmen zu lernen, ohne seinen Körper ständig ängstlich zu beobachten.
Verzicht auf alle Vermeidungsstrategien.
Das gezielte Aufsuchen an sich gewünschter, jedoch gefürchteter Situationen (wie z.B. das Kino) ist sehr wichtig, weil durch jede Vermeidung die Blasenprobleme größer werden. Wie bei einem Angstbewältigungstraining muss wieder der oft stark eingeschränkte Bewegungsspielraum erweitert werden. In diesem Zusammenhang müssen Reizblasen-Patienten lernen, ihren Harndrang wenigstens 10 bis 15 Minuten lang auszuhalten und den Besuch der Toilette hinauszuschieben, um die Erfahrung zu machen, dass sie ihrem Körper nicht völlig ausgeliefert sind. Die Betroffenen sollen auch wieder zwei bis drei Liter Flüssigkeit pro Tag trinken, weil dies das Dranggefühl vermindert und nicht erhöht.
Emotionales Training.
Das Wahrnehmen und Verbalisieren von Emotionen wie Angst oder Überforderungsgefühle sowie das Bearbeiten bestimmter Gefühle wie etwa Wut und Enttäuschung sind eine wichtige Voraussetzung dafür, dass der allgemeine körperliche Anspannungszustand sinkt.
Bearbeitung der psychosozialen Hintergründe.
Neben einer symptombezogenen Therapie müssen auch die Ursachen der Störung bewältigt werden, seien dies nun Stress, Partnerprobleme, psychische oder bestimmte sexuelle Probleme als Folge einer Traumatisierung.
Beckenbodentraining.
Bei Inkontinenz hat sich das bekannte Beckenbodentraining zur Stärkung der Beckenbodenmuskulatur bewährt, das im klinischen Alltag gewöhnlich von Physiotherapeuten durchgeführt wird.