Bewegung und Psyche

Wenn sich alles um die Bewegung dreht

„Den Halt verlieren“: Bewegung und Psyche

Der Bewegungsapparat besteht aus dem gesamten Gerüstwerk unseres Körpers – aus dem Skelett mit allen Knochen, Gelenken, Sehnen, Bändern und Muskeln.

Die Gelenke sind die beweglichen Verbindungen, die es unseren Knochen ermöglichen, sich gegeneinander zu bewegen.
Die Gelenkknorpel überziehen die Knochenenden und können sowohl Unebenheiten der Gelenkflächen ausgleichen als auch Stöße auf Grund ihrer Verformbarkeit auffangen.

Unser Knochengerüst wird durch Bänder zusammengehalten: bindegewebsartige Verbindungen von Knochen zu Knochen, die helfen, das Gelenk zu stabilisieren. Sehnen sind Verbindungsgewebe zwischen Muskeln und Knochen und haben die Aufgabe, die Kraft der Muskulatur auf das Skelett zu übertragen.

Mithilfe der Anspannung der Muskeln, die vom vegetativen Nervensystem gesteuert werden, bewegen wir unser Körpergerüst in den Gelenken.

Bewegung Psyche

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Die Wirbelsäule ist bei der Haltung und Bewegung des Körpers von zentraler Bedeutung:

Aufrechtes Stehen etwa ist die Leistung der Wirbelsäule und des komplizierten Muskelwerks, das an ihr ansetzt. Letztlich sind alle Muskeln der Gliedmaßen und des Rumpfes auf irgendeine Art mit der Wirbelsäule verbunden.

Die übereinander liegenden Wirbel sind so geformt, dass sie als knöcherner Ring ein Loch umschließen, in dem das Rückenmark und die von ihm ausgehenden Nerven geschützt vom Gehirn nach unten verlaufen können.

Kleine Gelenke verbinden die Wirbel miteinander, sodass sie gegeneinander beweglich sind.

Zwischen den Wirbeln liegen die Bandscheiben als Stoßdämpfer. Sie haben eine feste Schale, einen gallertartigen Kern und sind nicht durchblutet.

Die normalen Belastungen des Tages drücken den weichen Kern zusammen, weshalb man am Abend bis zu zwei Zentimeter kleiner sein kann als am Morgen.

Ein guter Kontakt zum Boden, eine gute Standfestigkeit sowie das allgemeine Geschick, mit der Schwerkraft zurechtzukommen, wird in der Psychotherapie häufig als „geerdet sein“ bezeichnet.

In unserer Beziehung zum Boden zeigt sich im übertragenen Sinn, wie gut unsere Beziehung zur Realität ist und wie sehr wir uns in unsere sozialen Beziehungen eingebettet fühlen.

Zahlreiche Redewendungen weisen auf die Körper-Seele-Zusammenhänge im Bereich der Bewegung hin:

starr werden vor Schreck, sich wie gelähmt fühlen, völlig verkrampft sein, nicht auf eigenen Füßen stehen können, vor lauter Angst wackelige Beine bekommen, jemandem fährt der Schreck in die Beine, die Glieder sind starr vor Schreck, es schlottern einem die Knie, in die Knie gehen, wieder auf die Beine kommen, weiche Knie bekommen, einen schweren Stand haben, auf schwachen Beinen stehen, den Boden unter den Füßen verlieren, jemandem auf die Beine helfen, das Gleichgewicht verlieren, den Halt verlieren, niedergebeugt sein, immer auf dem Sprung sein, kein Rückgrat haben, sich gerade noch aufrecht halten, vor jemandem buckeln.

Bewegungs- und Gleichgewichtsstörungen treten auch bei verschiedenen psychischen Erkrankungen auf. Depressive Patienten können motorisch stark gehemmt und völlig kraftlos sein, einen schleppenden Gang aufweisen oder körperlich total erstarrt sein.

Bei körperlicher und seelischer Energielosigkeit ist Schwindel ein häufig beklagtes Symptom.

Dieser Schwindel zeigt sich als Leere oder Nebel im Kopf, als eine Art Schleier über Wahrnehmung und Denken, als Benommenheit oder Unsicherheit beim Gehen.

Bei einer Depression mit ausgeprägten körperlichen Symptomen kann Schwindel das ständig beklagte Hauptsymptom sein.

Schwindel tritt auch im Rahmen einer Neurasthenie auf, das heißt bei einer „nervösen Erschöpfung“.

Zahlreiche Angstpatienten mit starker Verspannung haben Angst umzufallen und klagen ständig über Schwindel, sodass sich daraus oft eine Platzangst (Agoraphobie) entwickelt.

Psychosomatisch relevante Bewegungsstörungen

Funktionelle Störungen

Dissoziative und somatoforme Störungen:

  • dissoziative Bewegungsstörungen (Gang- und Standstörungen, Lähmungen)
  • dissoziative Krampfanfälle (psychogene Anfälle)
  • sonstige somatoforme Störungen (psychogener Schwindel, psychogener Tremor, psychogene Muskelzuckungen und Muskelkrämpfe)

Im aktuellen Diagnoseschema sind folgende Codierungen für nichtorganische Störungen der Bewegung vorgesehen:

  • dissoziative Bewegungsstörungen (dissoziative Gang- und Standstörungen sowie Lähmungen),
  • dissoziative Krampfanfälle (psychogene Anfälle),
  • sonstige somatoforme Störungen (z.B. psychogener Schwindel, psychogener Tremor, psychogene Muskelkrämpfe wie Schiefhals oder Schreibkrampf).

Dissoziative Bewegungsstörungen

Dissoziative Gang- und Standstörung

Dissoziative Gang- und Standstörungen beruhen auf einer psychisch bedingten Schwäche oder Lähmung eines oder beider Beine (seltener auf Koordinationsstörungen oder bewegungsabhängigen Schmerzen ohne Lähmung) und äußern sich in einem bizarren Gang oder in der Unfähigkeit, ohne Hilfe zu stehen oder zu gehen.

Weitere Kennzeichen sind: kraftaufwändige Bewegungsmuster und Haltungen; auffällige und übertriebene Verlangsamung des Bewegungsablaufs („Zeitlupentempo“); „Fast-Ausrutschen“ beim Gehen; kleinschrittiges, breitbeiniges, übervorsichtiges Vorwärtstasten und Gehen wie auf Eis; Rudern der Arme; plötzliche Ausfallschritte; plötzliches Einknicken im Kniebereich ohne Hinfallen; Halt-Suchen am Begleiter; kurz dauerndes Schwanken beim Gehen und Stehen; zunehmende Schwankbewegungen aus einem ursprünglich sicheren Stand beim Augenschließen und Ausstrecken der Hände und anschließende Besserung bei entsprechender Ablenkung.

Bei ungewohnten Bewegungen (z.B. Rückwärtslaufen) und im Liegen ist von all dem nichts zu bemerken, es besteht ein normaler Bewegungsablauf.

Die Störung geht oft einher mit einer psychomotorischen Ausdruckssymptomatik, z.B. bizarrer Handhaltung, Gestikulieren mit den Armen, Griff zum Bein, leidendem oder angestrengtem Gesicht, Stöhnen oder Hyperventilation.

Typisch sind auch ein stark wechselnder Verlauf sowie eine deutliche Beschwerdeminderung unter Ablenkung.

Bei dissoziativen Gang- und Standstörungen zeigt sich oft keine Besserung mehr, wenn die Symptome vor der stationären Aufnahme bereits länger als 4 Monate bestanden haben.

Konversionsstörungen weisen gewöhnlich eine rasche Remission auf (stationär oft innerhalb von 2 bis 3 Wochen) oder sie neigen zur Chronifizierung.

Dissoziative Lähmungen 

Dissoziative Lähmungen können das ganze Spektrum neurologischer Schädigungen nachahmen und zeigen sich in Querschnitts-, Ganzkörper- oder Halbseitenlähmungen.

Die Lähmung kann partiell, mit schwachen oder langsamen Bewegungen oder vollständig sein. Manchmal tritt sie zusammen mit einem Zittern oder Schütteln der betroffenen Extremitäten auf.

Menschen mit dissoziativen Lähmungen entwickeln die Symptomatik entsprechend ihren laienhaften medizinischen Vorstellungen, haben meist normale Muskelreflexe und keinen Muskelschwund, bewegen bei Ablenkung die angeblich gelähmten Muskeln und haben auch im Schlaf und bei Routinetätigkeiten keine Lähmungserscheinungen.

Dissoziative Krampfanfälle

Dissoziative Krampfanfälle sind nichtepileptische Anfälle mit plötzlichen und unerwarteten krampfartigen Bewegungen ohne Bewusstseinsverlust; die Anfälle können sich aber auch allmählich entwickeln.

Typischerweise sind EEG und Herz-Kreislauf-Werte während des Anfalls normal. Die Art der Anfälle kann recht unterschiedlich sein.

Sie können alle Ausdrucksformen zwischen „Bewegungssturm“ und „Totstellreflex“ annehmen. Wenn die Betroffenen einen dissoziativen Krampfanfall bekommen, ähnelt dieser verschiedenen Formen epileptischer Anfälle; es fehlen jedoch Kriterien wie Zungenbiss, Harnlassen, Bluterguss oder Verletzungen aufgrund eines Sturzes.

Darüber hinaus werden typischerweise schmerzhafte Stellungen während des Anfalls meistens vermieden.

Anstelle des Bewusstseinsverlusts tritt ein erstarrter oder tranceähnlicher Zustand auf.

Die Betroffenen können aber auch langsam zu Boden sinken, ohne sich zu verletzen. Sie können dabei nicht auf äußere Reize reagieren, obwohl sie nicht bewusstlos sind.

Die Anfälle ereignen sich bevorzugt vor Publikum und meist in vertrauter Umgebung, gewöhnlich tagsüber, kaum in der Nacht.

Der Verlauf ist oft szenisch-dramatisch.

Ein Anfall dauert mit durchschnittlich über zwei Minuten gewöhnlich viel länger als ein epileptischer Anfall und tritt auch häufiger auf, nicht selten mehrfach pro Tag.

Nach dem eigentlichen Anfall besteht oft noch über einen gewissen Zeitraum ein veränderter Zustand: Der Gesichtsausdruck wirkt dramatisch, die Pupillen sind erweitert, die Augen sind auf den Boden gerichtet, Lautäußerungen können vorkommen.

Dissoziative Anfälle können auch in Verbindung mit epileptischen Anfällen auftreten.

Drei Viertel der Betroffenen sind Frauen, meist im Alter zwischen 15 und 35 Jahren, die oft daneben noch andere psychische Störungen (Depressionen, Selbstmordgefährdung, Persönlichkeitsstörungen, somatoforme Störungen) haben.

Sonstige somatoforme Störungen

Psychogener Schwindel

Schwindel gehört zu den häufigsten Beschwerden des Menschen und zählt neben Kopf- und Rückenschmerzen zu den häufigsten Anlässen, warum der Arzt aufgesucht wird.

38 % der Deutschen (32 % der Männer und 44 % der Frauen) leiden unter geringem, mittlerem oder starkem Schwindel, bei 8 % ist der Schwindel krankheitswertig.

Nach Schätzungen klagen beinahe 20 % aller Patienten bei ganz unterschiedlichen Erkrankungen über Schwindel. Schwindel ist keine Krankheit, sondern ein Symptom, das viele Ursachen haben kann.

Eine organische Abklärung ist daher unbedingt nötig.

Eine umfassende Schwindelabklärung besteht in einer ohrenärztlichen, augenärztlichen, internistischen, neurologischen und psychiatrischen Begutachtung.

Der verspannungsbedingte Schwindel ist als Schwankschwindel bekannt.

Schwindel ist schlicht ein Warnzeichen, ein Hinweis auf das bedrohte Gleichgewicht.

Er mahnt zur Vorsicht und besseren Körperkontrolle, um den Organismus vor Schaden durch einen Sturz zu bewahren. Schwindel entsteht aus widersprüchlichen Sinneswahrnehmungen über die Lage des Körpers im Raum.

Das Gleichgewichtszentrum im Hirnstamm verarbeitet alle eintreffenden Informationen und löst dann einen Schwindel als Alarmsignal aus, wenn diese nicht zusammenpassen.

Beteiligt daran sind das vestibuläre System (das Gleichgewichtsorgan im Ohr), das visuelle System (die Augen) und das sensible System (die Körperwahrnehmung).

Das Wort „Schwindel“ hat eine mehrfache Bedeutung. Im angloamerikanischen Raum werden dafür auch zwei Wörter verwendet: vertigo (abgeleitet vom Lateinischen vertere = drehen) als Ausdruck für den Drehschwindel und dizziness als Bezeichnung für Benommenheit.

Neben dem drohenden Verlust des Gleichgewichts werden durch den Schwindel-Begriff also auch psychische Zustände zum Ausdruck gebracht: Angst, fassungsloses Entsetzen, Verwirrtheit, Leeregefühl im Kopf, verminderte Aufmerksamkeit und Konzentration.

Das deutsche Wort „Schwindel“ kommt vom Mittelhochdeutschen swintilon (bewusstlos werden) und bezieht sich auf das Schwinden der Sinne, die körperliche Schwäche und das Taumeln als Ausdruck der Gleichgewichtsstörung.

Die klassische Schwindelbeschwerde des Schülers in Goethes „Faust“ lautet: „Mir wird von alledem ganz dumm, als ginge mir ein Mühlrad im Kopf herum.“

Neben vielen organisch bedingten Schwindelformen kommt der psychogene Schwindel mit rund der Hälfte der Fälle zahlenmäßig viel häufiger vor, oft in Verbindung mit einer psychischen Störung wie einer Angststörung (Agoraphobie mit oder ohne Panikstörung). Angst, Depressionen, Stress und nervöse Erschöpfung („Neurasthenie“) können den Körper richtig ins Schwanken bringen, sodass einem schwindlig wird.

Warum Schwindel eng mit Angstgefühlen oder Depressionen zusammenhängt, erklärt sich aus der engen Verknüpfung der Zentren der Raumorientierung mit dem limbischen System im Gehirn, das als Sitz der Gefühle gilt.

Der Angstschwindel ist ein eher diffuser Schwindel, häufig erlebt als Benommenheit, Leere im Kopf, Ohnmachtsangst, Unsicherheit beim Gehen oder Stehen, mangelnde Standfestigkeit, Schwanken des Bodens, der Umwelt oder des eigenen Körpers, Schweben wie auf Wolken.

Die Betroffenen fühlen sich benommen und wie betrunken – schwankend, „nicht geerdet“, ohne Halt und Verankerung im Boden. Es handelt sich dabei um einen Schwankschwindel als Folge einer chronischen muskulären Verspannung – nicht um einen Schwindel in Zusammenhang mit Störungen des Blutdrucks, des Innenohrs oder der Augen.

Die Anwesenheit einer vertrauten Person, Sitzen oder Liegen bewirkt oft eine Besserung, Kopfbewegungen können dagegen die Zustände verstärken.

Viele Menschen mit Platzangst (Agoraphobie) spüren in bestimmten Situationen nicht so sehr ihre Angst und die anderen Symptome, sondern leiden subjektiv oft nur unter ihrer Schwindelsymptomatik und fürchten sich primär vor dieser.

Schwindelpatienten neigen häufig zu übertriebener und ängstlicher Selbstbeobachtung: Völlig normale Vorgänge wie feine Körperschwankungen oder unwillkürliche Kopfbewegungen werden sofort als beängstigend wahrgenommen.

Bei Menschen mit Angststörungen lassen sich zwei relativ gut abgrenzbare Schwindel-Syndrome unterscheiden:

Phobischer Attacken-Schwankschwindel mit und ohne Paniksymptome.

Bei Platzangst (Agoraphobie) tritt plötzlich und bedrohlich ein heftiger Schwindel mit Benommenheit, Stand- und Gangunsicherheit, Übelkeit und Fallangst ohne Sturz auf.

Psychogene Stand- und Gangstörung

Schreckreaktionen führen zu „weichen Knien. Die Betroffenen fühlen sich schwindlig beim Gehen, ohne direkt über Schwindel im Kopf zu klagen. Sie fühlen ein Schwanken beim Stehen und Gehen und bewegen sich deshalb nur langsam und zögerlich (wie auf Eis). Die ständige Angst umzufallen führt zu einer chronischen Muskelverspannung mit Gleichgewichtsstörungen und kann sich auch in agoraphobischen Reaktionen äußern. Viele Platzangst-Patienten haben ihr Vermeidungsverhalten wegen ihres unerklärlichen Schwindels entwickelt.

Psychogener Tremor

Ein Tremor (Zittern) ist eine rhythmische Bewegung als Folge einer starken Muskelanspannung.

Neben dem essenziellen Tremor und dem Parkinson-Tremor gibt es auch einen psychogenen Tremor.

Ein übertriebenes Zittern oder Schütteln kann bei einer oder mehreren Extremitäten oder am ganzen Körper auftreten, am häufigsten jedoch beim dominanten Arm, und besteht sowohl in Ruhe als auch bei Bewegung.

Das früher so genannte „hysterische“ Zittern trat in der Vergangenheit nicht nur bei Frauen auf, sondern z.B. auch bei vielen Soldaten des 1. Weltkriegs.

Ein psychogener Tremor ist bei folgenden Zeichen zu vermuten:

plötzlicher, meist beidseitiger Beginn, rasche und vollständige Beseitigung der Störung, zu Beginn oft maximale funktionelle Behinderung und später ein statischer oder wechselhafter Verlauf, ungewöhnliche Kombination von Ruhe- und Aktionstremorformen, Zunahme des Zitterns bei Aufmerksamkeit, Abnahme von Stärke und Häufigkeit des Zitterns bei Ablenkung, Vorhandensein anderer Konversionsstörungen wie psychogene Gangstörung, Zeichen einer Koaktivierung (beim passiven Durchbewegen der Extremität erfolgt eine willkürliche Aktivierung entgegengesetzter Muskelgruppen).

Eine muskuläre Vorspannung der Hände und Arme bereits vor dem Ergreifen und Halten eines Glases ist ein typisches Merkmal und drückt die allgemeine Verspannung in sozialen Situationen aus.

Somatoforme Muskelzuckungen (psychogene Myoklonien)

Darunter versteht man unwillkürliche, plötzlich auftretende, kurz dauernde Muskelzuckungen, die von anderen wahrgenommen werden können.

Es bestehen ruckartige Bewegungen als Folge von Muskelkontraktionen oder Spannungsverlusten in einzelnen Muskelgruppen oder ganzen Arm- und Beinbereichen.

Sie können auch im Gesicht oder Augenbereich auftreten. Bei zahlreichen Betroffenen tritt die Symptomatik bevorzugt in Ruhe auf, nimmt bei Bewegung zu und bei Ablenkung ab.

Somatoforme Muskelkrämpfe (psychogene Dystonien)

Es handelt sich dabei um Verkrampfungen der willkürlichen Muskulatur, die zu einer Fehlstellung etwa des Kopfes, der Schultern oder der Arme führen.

Typische Beispiele dafür sind der psychogene Schiefhals und der psychogene Schreibkrampf.

Im Gegensatz zu organischen Dystonien ist die Diagnose dann wahrscheinlich, wenn eine Besserung bei Ablenkung oder Entspannung eintritt und wenn gleichzeitig auch ein wechselhaftes Erscheinungsbild in Verbindung mit anderen psychischen oder psychosomatischen Beeinträchtigungen auftritt.

Organische Störungen

Neurologisch begründete Störungen:

  • Tremor
  • Epilepsie
  • andere wie Dystonien, Myoklonien oder Multiple Sklerose

Bewegungsstörungen sind Erkrankungen des zentralen Nervensystems, die entweder mit unwillkürlichen Bewegungen (Hyperkinesen) oder mit Störungen des willkürlichen Bewegungsablaufs (z.B. erschwerte Durchführung von Bewegungen, Akinese) einhergehen.

Bei neurologisch bedingten Bewegungsstörungen können wegen der für alle sichtbaren und daher als diskriminierend erlebten Bewegungsstörungen auch psychosoziale Folgeprobleme auftreten.

Die häufigste hyperkinetische Störung ist eindeutig der Tremor (Zittern), der zahlreiche organische Ursachen haben kann.

Die bekanntesten Formen sind: essenzieller Tremor, Parkinson-Tremor, dystoner Tremor (als Folge von Muskelkrämpfen) und „restless legs“ (ständige Unruhe der Beine).

Der essenzielle Tremor kommt bei 1 % der Bevölkerung typischerweise beim Halten und/oder Bewegungen vor; er ist nicht durch psychischen oder sozialen Stress verursacht, denn er kommt auch in der sicheren und entspannenden Umgebung zu Hause vor, führt aber bei 20 bis 40 % wegen der Auffälligkeit in der Öffentlichkeit zu psychosozialen Folgeproblemen wie Ängsten, Depressionen und manchmal auch Alkoholmissbrauch.

Weitere Beeinträchtigungen der Bewegung zeigen sich in Form von Myoklonus-Syndromen (Muskelzuckungen), Dystonien (Muskelkrämpfen wie etwa Schreibkrampf, Schiefhals oder Augenlidkrampf), spastischen Bewegungsstörungen und Ataxien (Störungen des geordneten Ablaufs und der Koordination von Muskelbewegungen).

Sie können auch im Rahmen bestimmter neurologischer Erkrankungen auftreten wie etwa bei Multipler Sklerose oder Chorea Huntington; gefürchtet sind vor allem auch die relativ häufigen Bewegungsstörungen nach einem Schlaganfall. Bekannt sind die zahlreichen Formen von organisch bedingtem Schwindel als Ausdruck einer Gleichgewichtsstörung.

Bei einer Epilepsie, die bei 0,5 % der Bevölkerung vorkommt (4 bis 5 % aller Menschen erleben im Laufe ihres Lebens einen epileptischen Anfall), sind folgende psychosomatische Aspekte bedeutsam:

  • Während eines epileptischen Anfalls treten oft auch psychische Symptome wie Angst auf.
  • Bis zu 30 % der Epileptiker haben zusätzlich auch noch dissoziative Krampfanfälle.
  • Ein Drittel der Epileptiker weist gleichzeitig eine behandlungsbedürftige psychische Störung wie etwa eine Depression oder eine Angststörung auf.

Psychosomatische Konzepte

Psychologische Faktoren

Psychische und soziale Faktoren können unseren körperlichen Halt und unsere Bewegungsfähigkeit erheblich beeinträchtigen.

Psychogene Bewegungsstörungen hängen oft mit psychosozialen Belastungssituationen, psychischem Stress und allgemeiner Überlastung zusammen.

Massive Konflikte, die der Betroffene mit sich selbst oder in seiner sozialen Umwelt austrägt, führen zu einer derartigen inneren Anspannung, dass sich diese in Form von Bewegungsstörungen äußern kann.

Menschen mit dissoziativen Krampfanfällen haben in der Kindheit oft körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlebt, die im Laufe des weiteren Lebens nicht verarbeitet wurde.

Bei rund 40 % der psychogenen Anfallspatienten findet man in der Vorgeschichte einen sexuellen Missbrauch.

Massive Vernachlässigung als Kind kann ebenfalls gegeben sein.

Bei Menschen mit Schwankschwindel zeigen sich auffällig oft Angst, Verunsicherung oder Depression.

Aktuelle oder schwelende Konflikte sowie psychosoziale Stressfaktoren (partnerschaftliche oder berufliche Konflikte, Trennungen, Verlusterlebnisse, existenzielle Erschütterungen) lösen dann in bestimmten Situationen recht unangenehme Schwindelattacken aus, die sich die Patienten anfangs überhaupt nicht erklären können.

Als Vermeidungsreaktion derartiger Schwindelzustände entwickelt sich häufig eine Agoraphobie mit der Angst umzufallen, wenn man allein unterwegs ist.

Das Hauptproblem sind jedoch nicht die agoraphobischen Situationen, sondern die aktuellen Lebensumstände, die den Betroffenen buchstäblich „den Boden unter den Füßen“ wegziehen.

Ein Schwankschwindel kommt gehäuft bei Menschen vor, die perfektionistisch sehr hohe Ansprüche an sich selbst stellen und alles im Griff haben möchten.

Ein phobischer Attackenschwindel tritt oft in Situationen auf, die als unangenehm erlebt werden oder Panikattacken auslösen können.

Im Laufe der Zeit kann sich ein Vermeidungsverhalten entwickeln: Situationen, in denen man nicht „alles unter Kontrolle“ haben kann, werden immer mehr gemieden.

Epilepsien können in bestimmten Fällen durch psychosoziale Faktoren ausgelöst oder ungünstig beeinflusst werden.

Als emotionale Auslöser gelten auch Erinnerungen an traumatisierende Ereignisse oder die Vorwegnahme bevorstehender Konfliktsituationen in der Fantasie.

Eine Reihe von Erkrankungen der Wirbelsäule wie Bandscheibenvorfall, Ischias oder Hexenschuss betrifft vor allem leistungsorientierte Männer zwischen 25 und 45 Jahren.

Im Grunde sind aber all jene Menschen gefährdet, denen der Wechsel zwischen An- und Entspannung schwer fällt.

Therapeutische Strategien

Die Gruppe der Bewegungsstörungen umfasst derartig unterschiedliche Krankheitsbilder, dass keine allgemein gültigen Behandlungsprinzipien angeführt werden können.

Die therapeutische Vorgangsweise hängt von der Art der jeweiligen Störung ab. Wichtig ist aber immer ein mehrdimensionales Behandlungskonzept: Neben der Bewältigung der psychischen und sozialen Probleme ist in jenen Fällen mit bereits chronifizierter Symptomatik auch auf ein übungsorientiertes Vorgehen zu achten, das heißt auf gleichzeitig einsetzende physiotherapeutische, körpertherapeutische und verhaltenstherapeutisch-konfrontative Behandlungsmaßnahmen.

Bei körperlich-dissoziativen Störungen müssen unbedingt die Ursachen erkannt und beseitigt werden.

Meist handelt es sich um starke innere oder äußere Konfliktsituationen, die nicht bewältigbar erscheinen, sodass sich die Symptomatik als vorläufiger Problemlösungsversuch entwickelt hat.

Bei dissoziativen Gangstörungen und Krampfanfällen sollen die Betroffenen ihre inneren Konflikte und äußeren Belastungen bewusst wahrnehmen und bewältigen lernen.

Bei psychogenem Schwindel müssen die Betroffenen ermutigt werden, ihr Vermeidungsverhalten durch eine sukzessive Konfrontation mit allen Schwindel auslösenden Situationen zu bewältigen, um der Gefahr einer lebenseinengenden Agoraphobie zu begegnen.

Gleichzeitig müssen auch die Ursachen wie familiäre und berufliche Überlastungen oder perfektionistische Leistungsansprüche beseitigt werden.

Bei neurologisch bedingten Störungen der Bewegung geht es meist um die bessere Bewältigung der psychischen und sozialen Folgen der jeweiligen Krankheit, in bestimmten Fällen wie etwa epileptischen Anfällen oder Dystonien mit psychogener Überlagerung aber auch darum, krankheitsverstärkende Faktoren zu beseitigen; bei schubhaft verlaufenden Krankheiten wie der Multiplen Sklerose kann durch besseren Umgang mit Stress möglicherweise der nächste Schub abgefangen werden.

Bei einer Epilepsie mit psychogener Überlagerung müssen die krankheitsverschärfenden Faktoren analysiert und beseitigt werden; eine ausschließlich medikamentöse oder operative Behandlung wäre ein Kunstfehler.