Auge und Psyche

Wenn sich alles um das Auge dreht

Das Auge nimmt das Licht wie eine Kamera auf und leitet die durch die Linse gebeugten Lichtstrahlen zu einer empfindlichen Oberfläche, der Netzhaut.

Der Zustand der Linse (abgeflacht oder gewölbt) bestimmt die Art der Lichtbrechung und damit die Nah- oder Fernsicht.
Die Pupille ist die Öffnung in der Regenbogenhaut, die sich wie eine automatisch arbeitende Blende je nach Lichteinfall öffnet und schließt, das heißt sich erweitert oder verengt.

Hinter der Linse befindet sich der Augapfel, der mit einer durchsichtigen gallertartigen Substanz gefüllt ist, dem Glaskörper, an dessen Rückseite die Netzhaut liegt.

Die Netzhaut ist das natürliche Gegenstück zu einem fotografischen Film. Sie besteht aus drei Schichten von Nervenzellen mit Lichtrezeptoren an der Außenseite.

Die Nervenimpulse werden dann an das Gehirn zur Verarbeitung weitergeleitet. Rund 80 % aller Sinneseindrücke nehmen wir über die Augen wahr.

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Zwischen den Augen und dem Gehirn besteht eine enge anatomische Verbindung, denn die Netzhaut und der Sehnerv sind – entwicklungsgeschichtlich gesehen – Teile des Gehirns, die in das Auge vorgelagert sind.

Dies macht es verständlich, dass Seheindrücke unmittelbar Gefühlsreaktionen auslösen wie etwa Weinen bei einem Film. Wenn wir die Augen schließen, bewegt sie das Gehirn unbewusst weiter.

Je mehr Erlebnisse wir im Unterbewusstsein verarbeiten, umso intensiver werden die Augenbewegungen.

Bei Angst und emotionaler Erregung bewirkt das sympathische Nervensystem eine Erweiterung der Pupillen, um mehr Licht durchzulassen; dadurch werden die Augen lichtempfindlicher und das Sehfeld erweitert.

Eine vergrößerte Pupille, vergleichbar einer größeren Blende beim Fotoapparat, verringert die Schärfentiefe und erhöht damit die Möglichkeit, unterschiedliche Entfernungen besser voneinander zu unterscheiden.

Dadurch können bedrohliche Objekte besser wahrgenommen werden.

Bei Stress, Aufregung oder Angst haben viele Menschen das Gefühl, nahe Dinge nicht gut zu sehen.

Dieses Phänomen wird durch das sympathische Nervensystem hervorgerufen: Die Augenlinsen werden bei Stress abgeflacht und besitzen infolgedessen eine geringere Brechkraft bzw. größere Brennweite.

Der Sinn dahinter ist: Bei Gefahr ist gute Fernsicht möglicherweise überlebensnotwendig; die Nahsicht ist jedoch beeinträchtigt, weil sie in dieser Situation nicht von so elementarer Bedeutung ist.

Augenprobleme treten heutzutage oft durch eine Tätigkeit am Computer auf.
Die dauernde Scharfstellung der Linse auf Nahsicht, die für die Arbeit am Bildschirm notwendig ist, bedeutet für die Augen eine große Anstrengung.

Bis zu 40 % der Beschäftigten klagen über müde, brennende oder tränende Augen während der Computerarbeit.
Gerötete Augen sind keine Erkrankung des Sehapparates, sondern Ausdruck der starken Beanspruchung durch den stundenlangen Blick auf den Monitor.

Die Augen haben zu wenig Tränenflüssigkeit oder die Zusammensetzung des Tränenfilms stimmt nicht mehr.
Es kommt zu trockenen Augen – rote Augen sind die Folge davon.
Ein Drittel der Internet-Surfer klagen über schlechter gewordene Sehleistung. 60 % von ihnen legten bis zu einer Dioptrie zu, 31 % bis zu drei und 9,5 % lagen sogar über diesem Wert.

In den Augen spiegelt sich, wie Goethe es so schön formuliert hat, „von außen die Welt und von innen der Mensch“.
Unsere Augen sind das „Fenster zur Außenwelt“: Mit den Augen erkennen wir die Welt, schaffen wir uns ein Bild von unserer Umwelt, treten wir in Kontakt mit anderen Menschen und stellen wir eine intensive Beziehung zu bestimmten Personen wie dem Partner her.

Das Auge ist also ein wichtiges Kommunikationsorgan.
Wer die Augen stets senkt, gilt als schüchtern oder selbstunsicher. Wer einen anderen so anschaut, dass sich dieser „durchbohrt“ fühlt, wird als zudringlich erlebt.

Unsere Augen bzw. unser Blick können warm, hart, offen, ausdruckslos, in sich gekehrt, gütig, durchdringend, bohrend, verschlingend, treuherzig, feurig, kühl, abweisend, verzweifelt, ängstlich, starr vor Schreck, weit aufgerissen vor Angst und Panik, verklärt, glänzend, strahlend oder glanzlos sein.

Wir können – im übertragenen Sinne – umsichtig, weitsichtig, kurzsichtig oder blind sein.
In unserem Blick können andere Menschen unsere Gefühle und Stimmungen ablesen – die Augen sind ein Spiegel unserer Seele; sie bringen auch unsere „Sichtweisen“ im umfassendsten Sinn zum Ausdruck.
Diese Aspekte spiegeln sich in zahlreichen Redewendungen wider:
Ein Blick sagt mehr als tausend Worte, ganz Auge und Ohr sein, etwas ins Auge fassen, sich etwas vor Augen halten, mit etwas liebäugeln, der Wahrheit ins Auge sehen, die Augen vor etwas verschließen, etwas kann ins Auge gehen, den eigenen Augen nicht trauen, etwas springt ins Auge, ein Auge zudrücken, etwas mit einem lachenden und einem weinenden Auge sehen, mit einem blauen Auge davon kommen, mit offenen Augen durch die Welt gehen, etwas mit neuen oder anderen Augen sehen, etwas ist eine Augenwischerei, Scheuklappen aufsetzen, etwas hüten wie den eigenen Augapfel, etwas aufs Auge gedrückt bekommen, Sand in die Augen streuen, ein Dorn im Auge sein.

Es war Liebe auf den ersten Blick, etwas ist aus den Augen, aus dem Sinn. Wir sagen auch, jemand ist mit Blindheit geschlagen, wenn er etwas nicht sieht oder nicht sehen will.

Im Bereich der psychischen Störungen treten vor allem bei Depressionen folgende Augenprobleme auf: angebliche Kurzsichtigkeit, Klagen über falsche oder nicht ausreichende Sehkorrekturen, chronische Entzündung der vorderen Augenabschnitte, schlechtes Sehen ohne objektiven Befund, Lichtempfindlichkeit, Doppelbilder.

Psychosomatisch relevante Augenprobleme

Funktionelle Störungen

Dissoziative Sehstörungen:

  • Verlust der Sehschärfe
  • Verschwommensehen
  • Doppelbilder
  • Gesichtsfeldausfälle
  • visuelle Überempfindlichkeit

Was die Seele stresst, kann auch das Auge trüben.

Die Augen sind das Kommunikationsorgan schlechthin; psychosoziale Probleme können sich daher in Form einer Sehstörung ausdrücken.

Die funktionellen oder psychogenen, nunmehr dissoziativ genannten Sehstörungen bestehen in einem Verlust oder Teilverlust des Sehvermögens oder im Gegenteil, nämlich in einer visuellen Überempfindlichkeit.

Es handelt sich um Konversionsstörungen mit spezifischen psychischen Auslösern (bestimmten Konfliktsituationen oder großen Belastungen) und einem bestimmten Symbolgehalt.

Dissoziative Sehstörungen äußern sich häufig im Verlust der Sehschärfe eines oder beider Augen, in der Abnahme der Tiefenschärfe, im Wahrnehmen von Doppelbildern, in Gesichtsfeldausfällen, im Verschwommensehen oder „Tunnelsehen“ (röhrenförmiges Sehen), in Nachtblindheit, in einer erhöhten Blendungsempfindlichkeit oder im gestörten Farbensehen.

In sehr seltenen Fällen besteht eine ein- oder beidseitige Blindheit, eine völlige Blindheit ist jedoch extrem selten.

Typisch sind auch Störungen der Konvergenzreaktion, das heißt des Nahsehens, sowie manchmal auch Konvergenzspasmen, die keine Einstellung der Sehfähigkeit auf nah und fern ermöglichen.

Eine funktionelle Muskelverspannung im Augenbereich verstärkt oft das Gefühl der Sehunschärfe oder des Doppeltsehens.

Trotz der Klagen über den Sehverlust können sich die Betroffenen oft überraschend gut orientieren und bewegen.

Die Störung tritt oft plötzlich auf und steht mit bestimmten psychischen oder psychosozialen Problemen in Verbindung.

 

Organische Störungen

Psychosomatisch relevante Augenerkrankungen:

  • Glaukom (Grüner Star)
  • Uveitis
  • Retinopathia centralis serosa
  • Heteropathie

Organisch bedingte Sehstörungen mit psychischen und psychosozialen Komponenten sind häufiger als bisher angenommen wurde. Zumindest bei einigen Augenkrankheiten wird immer wieder auf psychosomatische Aspekte hingewiesen, obwohl dazu noch keine ausreichenden wissenschaftlichen Befunde vorliegen. Sogar Kurzsichtigkeit bis zu eineinhalb Dioptrien kann mit seelischen Belastungen zusammenhängen, eine eitrige Bindehautentzündung kann auf eine schlechte allgemeine Immunlage hinweisen.

Glaukom

Glaukom (Grüner Star) ist eine chronische Augenkrankheit.

Dabei ist der Augeninnendruck überhöht – die Folgen: Der im Auge liegende Glaskörper wird auf die Netzhaut gedrückt und der empfindliche Sehnerv gequetscht.

Zudem beeinträchtigt der erhöhte Druck auch die Blutversorgung des Sehnervs – dann drohen ihm irreparable Schäden bis zur Erblindung.

Neben der Senkung des erhöhten Augeninnendruckes ist von den Behandlern auch auf eine Verbesserung der Durchblutung des hinteren Augenabschnittes zu achten, da diese bei einem Teil der Betroffenen deutlich vermindert ist.

Uveitis

Uveitis leitet sich von Uvea (Netzhaut) ab; diese umfasst die Regenbogenhaut, den so genannten Strahlenkörper und die Aderhaut.

Bei der Uveitis sind all diese Bereiche entzündet, oft auf beiden Augen.

Die häufigsten Beschwerden bei einer plötzlich auftretenden Erkrankung sind:

starke Augenrötung, vermehrter Tränenfluss, gesteigertes Blendempfinden, Verschwommensehen, stechende Augenschmerzen. Bei chronischer Symptomatik treten eine allmähliche Sehverschlechterung und ein immer dichter werdender Schleier auf.

Retinopathia centralis serosa

Diese nichtentzündliche Netzhauterkrankung vorwiegend im mittleren Lebensalter besteht in einer Schwellung des Netzhautzentrums.

Es kommt zu einer Flüssigkeitsansammlung unter der Netzhaut im Bereich des schärfsten Sehens.

Nachweisbar ist ein Defekt in einer bestimmten Netzhautschicht, dem Pigmentepithel, durch den die Flüssigkeit sickert.

Oft bessert sich die Sehschärfe von alleine.

Heteropathie

Heteropathie ist eine Neigung zum Schielen, also eine vorübergehende Abweichung von der Normalstellung der Augen.

In bestimmten Situationen mit geminderter Fusionskraft (Ermüdung, fieberhafter Erkrankung, Nervosität, Alkoholeinfluss) zeigen sich auch weitere Symptome wie Kopf- und Augenschmerzen, Brennen und insbesondere Doppeltsehen.

Psychosomatische Konzepte

Psychologische Faktoren

Menschen mit dissoziativen Sehstörungen wollen laut Psychoanalyse „etwas nicht sehen“.

Dissoziative Sehstörungen drücken gewöhnlich eine massive Überforderung aus oder spiegeln ein Problem wider, das mit einer aktuellen oder schon länger andauernden Krisensituation in Verbindung steht.

Das Sehen im Alltagsleben wird heutzutage durch die zahlreichen, visuell anstrengenden Tätigkeiten beeinträchtigt, z.B. ständiges Arbeiten am Computer, stundenlanges Fernsehen, Autofahren oder Arbeiten unter dem Mikroskop.

Nichtorganische Augenprobleme hängen häufig mit Stress im weitesten Sinne zusammen.

Mindestens eine von drei Beschwerden über Augendruck (Kopfschmerzen, trockene Bindehaut, generelle Augenbelastungen) entsteht nach einer Untersuchung bei Bankangestellten durch psychosoziale Belastungen am Arbeitsplatz.

Ein großer Teil der häufigsten Beschwerden über Augenbelastungen (gereizte Netzhaut, wunde, juckende und „schwere“ Augen, verminderte Sehschärfe und Doppelsichtigkeit während und nach der Arbeit) ist psychischen Ursprungs und beruht weniger auf physischen Ursachen.

Manchmal handelt es sich bei psychogenen Augenstörungen um die Folgen einer extrem traumatisierenden Lebenssituation wie etwa Kriegserlebnissen.

So resultierte eine anhaltende Erblindung bei einer Gruppe schwer Traumatisierter aus dem Umstand, dass diese überaus lange und intensiv geweint hatten.

Organische Funktionen des Auges wie Sehschärfe, Beweglichkeit des Augapfels, Farbensehen und Gesichtsfeldwahrnehmung unterliegen Schwankungen, die durch die psychische Befindlichkeit bestimmt sind.

Organische Sehstörungen hängen oft mit lang andauerndem Stress oder schwer verkraftbaren Lebensveränderungen wie Scheidung, Tod des Partners oder beruflichen Fehlschlägen zusammen – der Stress bewirkt einen erhöhten Augeninnendruck, Muskelverspannungen und in der Folge eine Durchblutungsstörung des Auges.

Nach neueren Erkenntnissen kann Dauerstress sogar zum Glaukom führen.

Glaukom-Patienten reagieren sehr empfindlich auf jede Form von Stress.

Bei der Uveitis lassen sich mehrheitlich keine organischen Ursachen finden, sodass von einer Autoimmunerkrankung auszugehen ist, die durch Stress und belastende Lebensumstände verstärkt wird.

Eine nichtentzündliche Netzhauterkrankung (Retinopathia centralis serosa) ist häufig bedingt durch psychischen, insbesondere beruflichen Stress.

Therapeutische Aspekte

Für dissoziative Sehstörungen gibt es – wohl aufgrund der Seltenheit – kein bewährtes Standardprogramm, es ist stets der konkrete Einzelfall zu beachten, der ein individuelles Vorgehen erfordert.

Ein reines Entspannungstraining wird kaum den gewünschten Erfolg bringen, weshalb eine psychologisch-psychotherapeutische Behandlung zur Beseitigung der zugrunde liegenden Konflikte notwendig ist.

Bei Überanstrengung und Übermüdung der Augen, etwa durch stundenlange Computerarbeit, kann ein Sehtraining hilfreich sein.

Dadurch lässt sich die Anspannung vor allem des inneren Augenmuskels, des Ziliarmuskels, vermindern. Bei den vielerorts angepriesenen Sehtrainings mit dem Ziel, Kurzsichtigkeit zu reduzieren, ist Vorsicht angebracht. Eine anatomisch bedingte Fehlsichtigkeit lässt sich nicht so einfach wegtrainieren.

Bei organischen Sehstörungen mit psychischen und psychosozialen Komponenten sollte unbedingt das Stressausmaß gesenkt werden.

Nach neuen Erkenntnissen kann durch Autogenes Training oder Hypnose der Augeninnendruck (Glaukom) gesenkt werden.

Bei Sehstörungen, die zur Erblindung führen, kann wegen der psychischen und psychosozialen Folgeerscheinungen wie etwa Depressionen, Berufsunfähigkeit oder soziale Isolierung eine psychologisch-psychotherapeutische Unterstützung sinnvoll sein, um eine bessere Krankheitsbewältigung zu erreichen.